Laudatio (Gaudatio) für Toto Blanke (1)

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Laudatio (Gaudatio)
für Toto Blanke
 
„Ich bin ein langsamer Typ. Irgendwann komme ich dahin, das ich nur noch einen Ton spiele, da setze ich dann einen E-Bow drauf und lasse ihn frei.“
Toto Blanke
 
 
Natürlich, Toto weilt gerade in Cadaques, an der Costa Brava, als ihn ein Anruf aus Paderborn ereilt.
Toto Blanke, Jazzmusiker aus Paderborn. Da liegt schon ein Witz in der Anrede.
Was macht denn ein Jazzmusiker in Paderborn? Kritiker vergleichen Toto Blankes Spiel gern mit dem John McLaughlins. Jazzpapst Behrendt bezeichnet ihn als Eklektiker, als Auswähler, wegen seiner beispielhaften Verarbeitung der Stilformen anderer Meister, Zeiten und Räume.
Toto Blanke weilt also gerade in Cadaques, trinkt Wein, musiziert mit Freunden und denkt vielleicht gerade daran einen neuen Film über Salvador Dali zu drehen. Dali verbrachte einen Teil seines Lebens in Cadaques. Toto Blanke nimmt also das Telefon in die Hand und hört die Stimme unseres Bürgermeisters. Er dachte sofort: „Oh Gott, ich habe vergessen die Hecke zu schneiden. Die Nachbarn haben sich beschwert“ Umso erfreuter war er über die Botschaft. Verdient und längst überfällig: Toto Blanke erhält den Kulturpreis 2011 seiner Heimatstadt Paderborn.
Übrigens die Hecke müsste mal wirklich wieder geschnitten werden. Auch als berühmter Gitarrist hat man seine Kleinstadtverpflichtungen, und auch der korrekte Schnitt einer Hecke kann den Blick auf die Welt verändern. Toto kann auch anders. Unvergessen ist sein sensibles Konzert mit dem Bildhauer Bernd Block, (Bildbauer) wo Toto 1995 bei einer Performance im Diözesanmuseum einen Damenvibrator als Gitarrenklangkobold einsetzt, diesen aber, aus Takt, mit einer Herrensocke verhüllt (schließlich befand man sich in einem Haus des Erzbischofs.)
Ich persönlich war übrigens sehr erfreut, als mich Toto ins Gespräch brachte die heutige Laudatio zu halten. Ich gelte hier als der Jazzkenner und „Ernsthaftigkeit“ ist mein zweiter Vorname. „Was sagt der Jazzgitarrist mit Job zu dem Jazzgitarristen ohne Job? Einen Hamburger mit Pommes Mayo bitte.“
Nein, meine Damen und Herren. Toto und ich haben zusammen gearbeitet und musiziert. Wir haben CDs aufgenommen und standen gemeinsam auf der Bühne. Ich trinke aus einer Lieblingstasse, die mir sein Sohn Billi geschenkt hat. Wenn seine Freundin Rose mich sieht, bellt sie immer, um meinen Hund zu ärgern. Toto zeigte mir, daß man Rucola als Salat essen kann, Pili Pili nicht nur ein scharfes Gewürz ist und CD Musikabmischungen trocken sein müssen (ohne künstlichen Hall).
Im Ernst. Ich bin dankbar, daß ich diesen besonderen Künstler und Paderborner kennen lernen durfte und darf. Ich habe vorgestern noch seine CD mit Eugen Drewermann gehört. Ich stand vor Wuppertal im Stau und wollte sofort mein Leben ändern, doch dann löste sich der Stau auf. Danke Eugen….
Deswegen nun meine durchaus seriöse Laudatio, aufgeteilt in Blankes 3 Arbeits- und Lebensphasen:
a.: Blanke öffnet Schranke
b. Blanke spielt für Kranke
und c.: Danke, Toto Blanke
 
a. Blanke öffnet Schranke
Zitat: „Er begleitet den Prediger Drewermann oder einen lateinamerikanischen Sänger, er holt sich einen Bandoneon-Spieler für ein paar gekonnte Tangos, er macht Meditationsmusik mit einem Obertontrio, er komponiert Songs für einen Kabarettisten. So kommt es wohl, daß Toto Blanke zwar im Jazzbuch des Joachim Ernst Berendt unter den interessanten europäischen Gitarristen aufgeführt wird, aber von manchem Fan inzwischen einem vergessenen Zigeunerclan zugerechnet wird.“
DER SPIEGEL 1996
 
Toto Blanke wird am 16. September 1936 als Hans Otto Blanke in Paderborn geboren.
Er besucht die Theodorschule in Paderborn. Nach Einführen des Fußballtotos hat er schnell seinen Spitznamen weg: „Otto Toto!“, rufen ihn seine Klassenkameraden. Der Name blieb, sein Desinteresse an Fußball auch. Toto macht sein Abitur auf dem Theodorianum erst mit 21 Jahren. Er blieb einmal (Zitat) „pappen“. In Musik glänzte er meistens mit der Note vier, erst auf dem Abiturzeugnis ließ sich eine drei sehen. Aber wie soll man auch in der Schule guten Noten bekommen, wenn man schon auf der Bühne steht und Konzerte gibt? Das ist doch nicht schlimm. Auch ich hatte in Deutsch, auf dem Theodorianum nur eine vier, war aber sehr gut im Träumen.
Auch für sein Architekturstudium in Braunschweig brauchte er 14 Semester, also die doppelte Regelstudierzeit, weil er lieber Jazz spielte. Vielleicht zeigen diese Beispiele den schädlichen Einfluß dieser Musik auf das bürgerliche Empfinden.
Doch zurück. In Paderborn verbrachte Toto seine Freizeit in einer Jugendgruppe mit Arno Klönne.
Wie klein Paderborn ist und was man alles hier werden kann.
Dort wurde viel gesungen, die Lieder begleitet zur Gitarre. Noch heute gehören Totos Interpretationen von Volksliedern zu meinen großen Gänsehauterlebnissen. Für die neue CD Fools Paranoise hat er die „Zwei Königskinder“ neu eingespielt. Wunderschön.
Toto Blanke hört damals viel Radio. Der schwarze Bakelit-Volksempfänger ist ständig auf AFN Frankfurt eingestellt. American Forces Network, der US-Soldatensender, bringt Jazz, Blues, Swing und Country: Benny Goodman, Glenn Miller, Hank Williams und andere. Toto Blanke ist begeistert. Er schneidet sich die Fingernägel seiner linken Hand. Das Markenzeichen jedes ernstzunehmenden Gitarristen.
Apropos Hank Williams. Gerade erst hat er ein Stück "I'm So Lonesome I Could Cry" (Die B Seite einer Hank Williams-Single von 1949) neu interpretiert und aufgenommen. Der Song soll auch auf seiner neuen CD „Fools Paranoise“ zu finden sein. Wann kommt denn die endlich heraus?
Toto Blanke will Gitarre spielen lernen. Gegenüber dem Theodorianum glänzt im Schaufenster des Musikhauses GEWALTIG eine Hoyer Gitarre. Hoyer hatte sich spezialisiert auf elektrische, halbakustische und Western-Gitarren. Toto hat kein Geld, beschließt aber, sich davon nicht abschrecken zu lassen. So ist es bis heute geblieben. Das hat man halt davon, wenn man freien Jazz macht. Hoyer Gitarren waren damals sehr bekannt. Aus ihrem Produktkatalog stammen so obskure Schöpfungen wie die von Roger Field erfundene Foldaxe, eine zusammenfaltbare E-Gitarre, oder der Dobrobass, aber auch die berühmte Schlaggitarre „Herr im Frack“.
Toto Blanke hat eine Idee. Im Komet – Kalender, der Bravo der damaligen Zeit, steht eine Bauanleitung, „Wie man sich eine Gitarre bastelt“. Das ist es. Er konstruiert mit Hilfe eines Tischlers eine 4 seitige trapezförmige Gitarre, mit der er später auf der ganzen Welt Eindruck schinden sollte. Nein, das stimmt natürlich nicht, aber die Vorstellung davon ist doch zu schön. Ich glaube auch, daß sich Toto selbst auf einer 4 seitigen Gitarre Zugang zur europäischen Jazzelite geschaffen hätte, denn eines ist sicher: „Jazzer ist Toto von Geburt an“. (Peter Bölke) 
Auf jeden Fall, Toto Blanke macht Musik. Gitarrist war er bei den City Cents, die im Hotel Hase, Kilianstraße, mit Tanzmusik unterhielten.
Er spielt bei Bands wie „Burns and Blues“ Jazz für die englischen Soldaten in den Kasernen und lernt die Standards kennen. Wochentags trifft man sich mit Jazzfreunden im Cafe Zünkler am Marienplatz und macht Musik. Jazz war in Paderborn immer etwas Besonderes, das nur von wenigen gebraucht wurde.
Paderborn war eine ruhige Kleinstadt. 1950, Toto ist 15 Jahre alt, lebten hier 40 000 Menschen. Man ging betend durch die Straßen. Wer nicht auffiel, hatte gut gelebt. Es gab noch eine Straßenbahn. Lorenz Kardinal Jaeger war Erzbischof, Christoph Tölle Bürgermeister. Damals war es noch üblich, daß ein Paderborner Bürgermeister für 20 Jahre gewählt wurde und von der CDU stammen mußte. Man wollte damit den Einwohnern der Stadt das Gefühl von Sicherheit geben. Christoph Tölle zum Beispiel war 22 Jahre Bürgermeister, sein Nachfolger, Herbert Schwiete 20 Jahre, von 1968 bis 1988. Das hat sich bis heute nicht geändert, obwohl Heinz Paus erst seit 1999 Bürgermeister ist und natürlich der CDU angehört. Er hat also noch einige Jahre vor sich. Das aber nur am Rande.
Natürlich gab es auch in Paderborn kulturelle Highlights. Ein Auftritt der Kilima Hawaians im Lichtspielpalast, Westernstraße, hinterließ bei Toto einen gewaltigen Eindruck. Wer kennt sie noch, die Kilima Hawaiians mit Rudi Wairata an der Steel Guitar, deren Hit „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ (langsamer Foxtrott) sein Interesse für diese Spielart weckte? Noch heute findet man in Totos Aufnahmen viele Beispiele für dieses Wimmern der Gitarre, für dieses sehnsuchtsvolle Seufzen der Steel Guitar. z.B. bei dem Bottle Song auf der CD „Going Crazy“, auf denen er auch auf Flaschen bläst und eine Luftpumpe den Rhythmus pumpen läßt. Lustig oder?
„Meine Mutter und meine Großmutter haben den ganzen Tag Operettenmelodien und Schubertlieder gesungen. So habe ich diese Musik lieben und hassen gelernt.“
Toto Blanke ist kein reiner Free Jazzer. Ich sage immer, „Free Jazz ist die Musik, die den Musikern mehr Spaß macht als den Zuhörern - wenn sie gut gemacht ist.“ Toto Blanke arbeitet anders. Er sucht die Freiheit. Seine großen Erfolge feiert er als Jazzmusiker, aber er will auch immer spüren, daß Musik keine Grenzen kennt.
Toto tritt bereits während seines Architekturstudiums in Braunschweig (ab 1957) mit Gunter Hampel auf. Als Architekt arbeitet er nur kurz.
„Viele Häuser hat er nicht gebaut, die Musik war ihm genug, auch wenn er nicht nur Jazz machen wollte.“Ich habe soviel interessante Musik kennengelernt", sagt Blanke. "Mir wäre doch was entgangen, wenn ich da nicht mitgemacht hätte."
Der Spiegel 1996
 
b. Blanke spielt für Kranke
Nach einem langen Krankenhausaufenthalt hatte er plötzlich einen Bart. Er läßt ihn stehen. Sein anderes Markenzeichen, der Hut, kam erst später dazu und wird treuer Begleiter als Schutz vor grellen Scheinwerfern und Open Air Regenschauern. Den ersten Hut, ein Borsalino aus Venedig, trägt er immer noch und hütet ihn Zitat: „wie mein linkes Ei“.
1969 lernt der 33- jährige Paderborner im benachbarten Lippstadt bei einem Konzert, den niederländischen Pianisten und Keyboarder Jasper van´t Hof kennen. Sie verstehen sich menschlich und musikalisch. Zusammen mit dem niederländischen Schlagzeuger Pierre Courbois gründen sie 1970 die Band Association P.C. mit dabei, teilweise, der Bassist Sigi Busch. Jazzgruppen wechseln dauernd, da spielt jeder mit jedem, haben eigene Gruppen und treffen sich zu Sessions und Auftritten. Jazz ist immer auch ein wenig Sodom und Gomorra. Association P.C.: In fünf Jahren veröffentlicht die Gruppe mehrere Platten, spielt auf allen bedeutenden europäischen Festivals und unternimmt eine ausgedehnte Asien-Tournee. Die Formation beeinflusst Anfang der 70er Jahre die gesamte europäische Jazz Rock-Szene. Für Blanke ist es nach dem Studium der Architektur in Braunschweig der Einstieg in eine Profilaufbahn als Musiker.
 

 
© 2011 Erwin Grosche

Liebe Leser, das ist noch nicht alles, denn Erwin Grosche wußte
in seiner launigen Gaudatio noch einiges Gute mehr zu und über
Toto Blanke zu erzählen. Das lesen Sie morgen an dieser Stelle!