Ufer der Verlorenen

Daniel Juhr - "Exit"

von Frank Becker
Ufer der Verlorenen
 
Es war einfach zu verlockend, den Titel des 1989 erschienenen essayistischen Romans von Joseph Brodsky als Überschrift der Notizen zu Daniel Juhrs „Exit“ zu benutzen. Es steckt so verdammt viel davon in diesem wunderbar melancholischen Roman über Ende und Erinnerung, Tod und Neuanfang: „Fondamenta degli Incurabili…“.
 
Gut, man hätte auch das Motto nehmen können, unter das Juhr sein Buch gestellt hat: „Die Farbe ist egal, Hauptsache schwarz“. Dazu ein paar Stichworte: Flens, Rock & Stories, Kicker, Discokugel. Und die Namen der Protagonisten, die uns da oder dort schon tausendmal und mehr begegnet sind, die es zum großen Teil wirklich gibt und die wir unter Umständen sogar selber sind: Susann, Wolfgang, Vossi, Witold, Sam und Klaus, Guido und Silke, Paul, Max und Anne, Becky und Peter… Dauergäste und Zapfer, Aufleger und Schrauber, Glücksritter und Verlierer.
14 Jahre lang haben sie eine aus der Phantasie, aus Wünschen gewirkte Welt geteilt, einen Fluchtpunkt, eine Heimat, ein rettendes Ufer – die Disco „Exil“. Nun hat die Zeit, das wirtschaftliche Aus sie eingeholt. Der Laden wird geschlossen. Am letzten Abend ist der Eintritt frei. Einmal noch wollen sie abtanzen, reden, trinken, rauchen. Der Abschied fällt schwer, ist melancholisch, doch durch gewollt spaßige Erinnerungen aufgeheitert. Noch einmal ein paar Lieblingsstücke vom Plattenteller, Smalltalk, Dummheiten, Songs. Suff, Tränen, Liebe, Tod – Schluß.
 
Daniel Juhr ist um den Abschied von der berühmten Disco in Solingen/Müngsten, einem einstigen Magneten der Bergischen Region, ein stimmungsvoller, sprachlich genußreicher, sich dicht an der Realität bewegender Roman gelungen, den wirklich nur ein Atemzug von der Wirklichkeit trennt. Seine Figuren leben, sind Menschen aus Fleisch und Blut, echte Schicksale. Die Liste der in der letzten Nacht gespielten Platten im Anhang ist das Tüpfelchen auf dem i. Wer in den 90ern im „Exit“ oder irgendeinem anderen ähnlichen Schuppen im Land abgehangen, gelebt, geträumt und geheult hat, muß dieses Buch lesen. Es ist wie ein Zuhause. Ein verlorenes.
 
Daniel Juhr – „Exit“ (Roman)
C 2011 Juhr Verlag, 1. Aufl., 224 S., Broschur, Hitliste
ISBN: 978-3-942625-06-7
€ 9,90
Informationen: www.juhrverlag.de