Niederrheinische Angewohnheit

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
 
Niederrheinische Angewohnheit
 
Wissen Sie eigentlich wat ich auf en Tod
Auch nicht ausstehen kann
Wenn unangemeldet Besuch kommt
Dem man auch noch sofort ansieht
Daß man ihn kaum noch aussem Haus kriegt
Dat is auch so eine: niederrheinische Angewohnheit
Bloß nur mal eben vorbeigucken
Um dann nach einem Jahr erst wieder zu gehen
Mit dem Vorbeigucken da ham se et sowieso
Alle Nas lang
Wenn ich in die Nähe
Meiner alten Heimatstadt Moers komm
Heißet immer sofort
Kannz doch mal auf en Sprung vorbeikommen
Und ich versuch dann immer denen klar zu machen
Daß das technisch unmöglich ist
Ich bin ja kein Känguruh
Und ich will ja auch nicht vorbeikommen
Sondern reinkommen
Ich will ja nicht vorbeispringen
Sondern einen Besuch machen
Inzwischen halt ich das schon manchmal
Für die liebenswürdige Formulierung
Einer indirekten Absage
Ich mein das kommt sicher nicht nur am Niederrhein vor
Das mit dem Vorbeigucken um dann nach einem Jahr erst
Wieder zu gehen
Aber da hab ich das erlebt
Daher weiß ich das:
Et klingelt
Man machte Tür auf
Und da stehen dann zwei bis drei Verwandte
Und erst Weile man gar nicht wohin damit
Bis dann einer von denen sagt:
Ich bin de Bruder
Von Onkel Hans von Dein Tante Gretehen
Aus Meiderich
Und dat is mein Frau
Un mein Schwager Hein Mevissen aus Hochheide
Früher Scherpenberg
Wir haben uns bei de Beerdigung von Dein Mutter
Kennengelernt
Da warsse aber noch son Dötzken
Wir sagen immer wenn wir Dich im Fernsehen sehen
Dat is de kleine Jung von Adele Sonnen
Un jetzt bisse schon so bekannt
Un da hamwer uns gesagt ma gucken ob de einfache Leut
Noch kennt
Wir wollten ja erst eigentlich heute nach Mülheim-Ruhr
Zu Tante Sofie und Onkel Eberhard
Weil die sind ja jetzt auch schon ziemlich klapperig
Beide
Und wer weiß ob man sich nochma sieht
Dat geht ja manchmal schnell heut
Dat weißt Du ja auch
Da wollten wer erst heute eigentlich hin
Aber dat können wer ja morgen oder übermorgen
Auch noch machen
Und da wer grad hier in der Nahe waren
Hab ich gesagt
Komm laß uns doch mal da vorbeigucken
En Tass Kaffee wird er ja wohl für uns noch übrig haben
Jetzt wo er so oft im Fernsehen ist
Und die Hotels kennen wir hier ja auch weniger
Wir wollten ja bei Tante Hedwig und Onkel Ernst
In Orsoy übernachten
Wir wollen so gern mal sehen ob das alte Fährhaus
Noch steht
Aber die sind zur Kur nach Bad Neuenahr
Nachdem ja der einzige Sohn Heinzi voriges Jahr
Noch an Tuberkulose gestorben ist
Der war ja Diplom-Ingenieur zuletzt noch
Die hatten ja ganz früher in Kaldenhausen
Ein Gemüsegeschäft
Ich weiß nicht ob du das noch weißt
Wenn dein Mutter noch leben würd die wüßt dat alles noch
Dein Mutter war ja auch son Verrückte
Genau wie du
Die wollte doch immer mit son Kutsche über Land fahren
Wir wohnen ja nicht mehr in Meiderich
Wir wohnen jetzt in Hamborn
In dem großen Haus von Minchen Mombour
Der Vater war doch lange Zeit bei de Straßenbahn
Unser Gepäck können wer ja im Auto lassen
Wir fahren ja morgen erst weiter
Erst noch nach Friemersheim
Ma gucken wiet da inzwischen aussieht
Eventuell treffen wer da Heinz und Hildegard
Die haben ja jetzt son schönes großes Haus
Direkt neben ihrer Drogerie
Und wenn wer da nicht bleiben können
Würden wer vielleicht noch mal zurückkommen
Und erst übermorgen nach Mülheim fahren
Wir müßten ja auch noch wat
Für Tante Sofie und Onkel Eberhard
Einkaufen zum Mitbringen
Wenn das geht
Tja öh sag ich
Naja dann kommt erstmal rein
ist hier unten ein Klo
Dann müssen wir halt mal sehen
Aber wirklich nur wenn es geht
Naja jetzt mach ich erstmal en Kaffee
Aber bitte wirklich nur wenn es geht
Es wird schon gehen sag ich
Es ist immer noch alles gegangen
Gegangen sind se erst nach vierzehn Tagen
Und wollen Weihnachten wiederkommen.
 
 
Hanns Dieter Hüsch
 

Aus: Tach zusammen (1993) / Der Große Hüsch, Band 1 (2011)


© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 1" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.