Annäherungsschwierigkeiten

Oliver Hilmes "Liszt - Biographie eines Superstars"

von Stefan Schmöe
Oliver Hilmes
"Liszt - Biographie eines Superstars"


Annäherungsschwierigkeiten
 
Mit dem etwas schnoddrigen Untertitel Biographie eines Superstars ist bereits umrissen, worum es Oliver Hilmes in seinem Buch über Franz Liszt geht: Den Pianisten und Komponisten als Massenphänomen darzustellen. Ein früher Vorläufer von Lady Gaga oder Michael Jackson? In gewisser Hinsicht schon, das zeigt diese fundierte Biographie auf; und so weiß Hilmes Anekdoten zu berichten von Frauen, die sich heimlich das Wasser aus der Waschschüssel ihres Idols abfüllten oder, eine frühe Art des Stalking, das Ziel ihrer Begierden verfolgten und heimlich beobachteten. Streckenweise liest sich das Buch wie eine gut recherchierte Enthüllungsstory, insbesondere wenn es um die buchstäblich in letzter Minute gescheiterte Ehe mit Caroline von Sayn-Wittgenstein geht (eine in der Tat filmreife Story) oder um Liszts letzte Lebenstage (die Hilmes freilich schon in seiner Biographie der Liszt-Tochter Cosima Wagner Witwe im Wahn ausführlich beschrieben hat, was hier um Details, aber nicht um substantielle Erkenntnisse erweitert wird).
 
Die flüssige, leicht lesbare Sprache richtet sich an eine breite Öffentlichkeit und nicht (nur) an ein wissenschaftlich ausgerichtetes Fachpublikum.
Zum Dasein eines Superstars gehört die Selbstinszenierung. Das ist die wichtigste Leitlinie des Buches. Ob als Konzertpianist, der neben seinem legendären technischen Fähigkeiten eben auch von seiner unmittelbaren Ausstrahlung, seiner Aura, lebte; ob als Star der Pariser und Weimarer Salons; ob als spätberufener ungarischer Vorzeigepatriot oder als katholischer Abbé – Liszt hat im Laufe seines Lebens verschiedene Rollen mit großer Perfektion eingenommen, und die Persönlichkeit dahinter bleibt weitgehend schemenhaft. „Man hat manchmal das Gefühl, daß sich der 'echte Liszt' hinter Masken versteckte“, resümiert Hilmes am Ende des Buches und drückt damit eine gewisse Hilflosigkeit aus. Auch nach fast 400 Seiten bleibt das Gefühl, trotz etlicher Fakten dem Phänomen Liszt nicht richtig nahe gekommen zu sein.
 
Das liegt allerdings auch daran, daß Hilmes wenig unternimmt, um Liszts Einstellung zu den wesentlichen Fragen seiner Zeit zu dokumentieren. Die prekäre Frage zu Liszts Religiösität (das Bekenntnis zum Katholizismus steht ja nun doch im krassen Widerspruch, das wird sehr deutlich, zum keineswegs der Zeitmoral entsprechenden Lebenswandel des Erotomanen Liszt) hätte eine genauere Darstellung verdient, und auch der ungarische Patriotismus des frankophilen Komponisten (der die Sprache seines Heimatlandes gar nicht beherrschte) ist nicht ganz so eindeutig, wie es Hilmes offenbar vermitteln möchte. Das Eintreten für die ungarische Sache innerhalb der Habsburgermonarchie war in den 1870er-Jahren eine brisante Angelegenheit, was hier aber völlig ausgeblendet ist. Über Liszts Meinung zur (Tages-)Politik – immerhin überdeckt seine Lebenszeit die Revolution von 1848/49 sowie die Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 – erfährt man so gut wie nichts, als habe Liszt in einem weitgehend abgeschotteten Kosmos aus Musik und Frauen gelebt.
 
Aber auch der Komponist Liszt bleibt in dieser Darstellung unterbelichtet. Den Verweisen auf einige wenige Werke haftet etwas Pflichtschuldiges an. Über Liszts Stellung zur Musik seines Schwiegersohns Richard Wagner hätte man schon gerne Genaueres erfahren. Liszts Positionierung als Gallionsfigur der „neudeutschen“ Komponisten gegen die vermeintlich Konservativen um Brahms (der es lediglich in der Aufzählung illustrer Gäste des Salons der Fürstin Sayn-Wittgenstein in dieses Buch geschafft hat, und selbst das ohne Datumsangabe) findet nur ganz am Rande Beachtung. Was die Wirkung von Liszts kompositorischem Schaffen betrifft, zitiert er Schönberg und Busoni, die ihn in den hier wiedergegebenen Passagen prompt über Richard Wagner stellen – was dann doch ein paar kommentierende Anmerkung verdient hätte. Hilmes' Ausführungen zu einzelnen Kompositionen gehen nicht über Klischees hinaus („seine späte Musik ist auch heute noch in ihrer Kargheit ergreifend“), Werkanalysen gibt es schon gar nicht. So ist dieses Buch sicher kein Beitrag, Liszt als Komponist wiederzuentdecken.
 

Oliver Hilmes - "Liszt - Biographie eines Superstars"
© 2011 Siedler-Verlag
432 Seiten, Gebunden, Leinen mit Schutzumschlag, mit Abbildungen
ISBN: 978-3-88680-947-9
€ 24,99 [D]
 
Weitere Informationen unter:  www.siedler-verlag.de