Verordnete Nummernrevue

„Das Ministerium“: Uraufführung von Kai Schubert im Kleinen Schauspielhaus Wuppertal

von Martin Hagemeyer
Verordnete Nummernrevue

„Das Ministerium“: Uraufführung von Kai Schubert
im Kleinen Schauspielhaus Wuppertal
 
 
Inszenierung: Jenke Nordalm – Bühne/Kostüme: Birgit Stoessel – Dramaturgie: Oliver Held.
Besetzung: Ananke: Julia Wolff – Moira: Juliane Pempelfort – Tyche: Anne-Catherine Studer – Hal: Thomas Braus.
 
Tänzelnde Show-Kartoffeln und nerdig-nervige Weisheiten über das Problem Migration, das wir durchs Reden darüber „erst dazu machen“: Kann das die Antwort auf die Mißstände in der Zuwanderungspolitik sein? Solche Reaktionen provoziert „Das Ministerium“, das mittlerweile dritte Stück von Kai Schubert, das die Regisseurin Jenke Nordalm bei den Wuppertaler Bühnen zum Thema Migration inszeniert hat. Just am Tag der Premiere im Kleinen Schauspielhaus wurde in Berlin der neue Integrationsbericht der Bundesregierung vorgestellt. Und in der Tat: Den von der Migrations-Beauftragten Maria Böhmer präsentierten schlechten Zahlen bei Schulabbruch oder Arbeitslosigkeit unter deutschen Zuwanderern hat die Wuppertaler Uraufführung nichts Konkretes entgegenzusetzen.


Julia Wolff (vorne), Ensemble - Foto © Uwe Stratmann
 
Das Duo Schubert/Nordalm ist an der Konfusion keinesfalls unschuldig (was dabei dem Text zuzuschreiben ist, was der Regie, ist bei Teamarbeiten wie hier noch schwerer einzuschätzen als ohnehin immer). „Das Ministerium“ ist Diskurstheater im Gewand einer Nummernrevue: Vier Experten eines „Ministeriums für Migration“ haben die Aufgabe, innerhalb einer Woche ein umfassendes Integrationskonzept zu entwickeln; und wenn man ein Brainstorming vor Publikum optisch sichtbar macht, wie Julia Wolff, Juliane Pempelfort, Anne-Catherine Studer und Thomas Braus das tun: Dann geht es eben stürmisch zu.
Das Stück scheint die verschiedensten Ideen zur Lösung der Konflikte zwischen Aus- und Inländern in einem Staat wie Deutschland ungeordnet aneinanderzureihen. Wie etwa bei den Einheimischen Verständnis für die Situation der „Fremden“ erreichen? Die vier grübeln und beschließen: durch „Werbung für ausgleichendes Opferdasein!“ Und schon springen zwei „deutsche Kartoffeln“ im Harald-Juhnke-Frack aus den Labor-Zellen – die in Birgit Stoessels cleverem und detailfreudigen Bühnenbild selbst an Wohnwagen auf Reisen gemahnen – und erinnern fröhlich singend an historische Zeiten, in denen es Deutsche waren (etwa christliche Pioniere), die zu fremden Ufern aufbrachen.
 
Läßt sich derlei noch als Satire fassen und entschuldigen, so wird das im Lauf des Abends

Thomas Braus, Anne-Catherine Studer - Foto © Uwe Stratmann
zunehmend unmöglich: Ein fürchterlicher Lampedusa-Rap über die Flüchtlingsunglücke im Mittelmeer wechselt sich ab mit Juliane Pempelfort als irre kicherndem Saurier und einem grienenden Thomas Braus in Großaufnahme und fast ebenso großer Brille. „Satirisch“ also als eine Eigenschaft von „Das Ministerium“, „absurd“, „grotesk“ als weitere: Offenbar, ahnt der Zuschauer, will sich die Inszenierung lustig machen. Bloß: worüber?
 
Nordalm/Schubert muten dem Publikum zu, eine Antwort darauf zu suchen. Der zum Abstrakten  neigende Hal (Braus), benannt nach dem Supercomputer aus dem Film „2001 – Odyssee im Weltraum“, ist die ganze Zeit begeistert vom Gedanken von Integration als Strategiespiel (Mission: „Bleibe König von Babylon!“) – bloß daß die anderen das wenig interessiert. Gegen Ende des Stücks schließlich durchzuckt ihn nun die Erkenntnis: Sein Konzept ist gut – aber: „für ein ganz anderes Problem“.
Und so findet der geneigte Zuschauer dann doch noch ein Thema eines daher dann doch noch guten Stücks. Nämlich die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll und sachlich angemessen, im Rahmen eines Migrations-Ministeriums, wie es real auch die Bundesbeauftragte Maria Böhmer fordert, die Situation der Zuwanderer von oben herab zu regulieren? Oder ist dieser Ansatz albern (das Gezeigte legt dies sehr nahe), und schafft eher regellose Unvoreingenommenheit im Alltag die beste Basis dafür, daß Neu-Deutsche sich angenommen fühlen – wie es Anne-Catherine Studers Figur Tyche meint? (Wohl nicht zufällig mag sie ausweislich ihrer Zellen-Einrichtung heimische Folklore, aber auch exotisches Origami.)
 
Statt „Ministrieren“: „Machen lassen“ (so Julia Wolff als „Danke-Ananke“)? Ein konkreter oder sonderlich origineller Einfall zur Lösung der Integrationskrise ist das natürlich nicht, was Kai Schubert hier anbietet, schon gar keine Zauberformel; aber doch, immer noch und immer wieder, bedenkenswert in den hitzigen Debatten dieser Tage – im Sinne von: Integration findet auf der Straße statt. Wenn man denn auf die Idee kommt, nachzuschlagen, daß Ananke, Tyche und Moira (so heißen Wolff, Studer und Pempelfort) die Namen altgriechischer Göttinnen sind und Konzepte repräsentieren: „Zwang“, also autoritäres Eingreifen wie Hal‘s Strategie-Denken, oder aber „Zufall“ und „Schicksal“ als liberale Varianten von Integration. Und wenn man der Versuchung widersteht, sich beim leicht daherkommenden Stück „Das Ministerium“ mit Warten auf die nächste Pointe zufrieden zu geben – aber diese Versuchung ist stark.


Thomas Braus, Juliane Pempelfort - Foto © Uwe Stratmann
 
Das Ministerium. Eine Beschlußvorlage von Kai Schubert.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de