Stille Bäckerei heute Morgen

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Stille Bäckerei heute Morgen
 
Stille Bäckerei heute Morgen. Ich sehe eine Mitarbeiterin der Pflegedienstfrau, die alle paar Monate nach Oma schaut. Im Gesicht wird sie der Leiterin immer ähnlicher. Am Sonntagmorgen, wie heute, sagt sie, erfreut sie sich am Vogelgesang und der Stille.
 
Die heutige Bäckerin beginnt zu erzählen, als der Laden wieder leer geworden ist. Sie hat vier Kinder, ist geschieden, kann sich aber nur mühsam mit ihrer Rente durchbringen, wie sie mir berichtet.
 
Zuhause frühstückt Oma auf der Bettkante. Frau und Kinder sind im Fitness-Studio. Als ich mich nach dem kurzen Spaziergang behutsam im Sessel niederlasse, läßt sie sich drüben auch ins Bett sinken.
 
Ich spüre Müdigkeit. Mein Kräftespielraum läßt nach, ihrer schon lange. Wir sollen uns auch so annehmen, heißt es. Wir seien so gewollt. Hoffentlich.
 
Ich versuche, tiefer in mir nachzufragen. Da, tief innen, da ist etwas, was keinen Namen hat. Vielleicht bin ich das. Es soll unzerstörbar sein, habe ich gelesen. Ich stelle es mir wie grauen Stahl vor.
 
Irgendeiner soll vor einigen Tagen im Fernsehen gesagt haben, er habe die Folter, die er in einem arabischen Land erlitt, durch Lachen überstanden. Einfach immer gelacht. Lieber nicht ausprobieren, denke ich.
 

© Karl Otto Mühl