Frieda und die Vorfahren

von Hanns Dieter Hüsch

Foto © Frank Becker
Frieda und die Vorfahren
 
Wenn die Frieda mal nicht lustig ist und ich deshalb auch nicht lustig bin, wenn wir also ganz böse sind und die Türen knallen, so daß die Leute über uns denken, wir würden die ganze Wohnung abbrechen, und die Leute unter uns denken, es ginge uns wohl zu gut, dann dauert es nicht lange und die Frieda sagt: Kein Wunder, ich brauche mir doch bloß deinen Vater anzugucken, dann hab ich dasselbe in Grün. Und ich sage dann: Und deine Mutter will auch immer das letzte Wort haben.

Als ich das neulich wieder einmal sagte, machte es plötzlich: Bruch!!! Ein Tintenfaß flog an mir vorbei, durch die Glastür, direkt ins Wohnzimmer. Die Scheibe war im Eimer, doch das Tintenfaß lag unversehrt auf dem Teppich. Ich brachte es der Frieda kaltblütig zurück und sagte, das nächste Mal besser zielen. Ich nahm Blech und Kehrbesen, um die Scherben zusammenzufegen; aber die Frieda kam mir zuvor und sagte: Meine Scherben kehre ich alleine auf! Und sie kehrte und kehrte und kehrte, und als ich sagte, es hat sich schon mal einer totgekehrt, sagte die Frieda: Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, heirate nur keinen Beamten, nun habe ich einen einen einen … einen Egozentriker, sagte ich … Einen Egozentriker geheiratet, sagte die Frieda, und bin vom Regen in die … in die … in die Scheibe gekommen, sagte ich, und unserer Tochter wirst du jetzt sagen, heirate bloß keinen Künstler, und sie wird wieder ihrer Tochter sagen, heirate bloß keinen Beamten, und so geht das weiter bis zum jüngsten Scherbengericht. Was kann ich dafür, daß ich von einem flämischen Spielmann abstamme. Ach, du immer mit deinem flämischen Spielmann, sagte die Frieda. Und du, sagte ich, immer mit deinem Großonkel, der Porzellanmacher war, oder Glasbläser, und nach Petersburg ging. Ein Großonkel von mir ist wenigstens mit Sack und Pack nach Amerika gegangen, weil er so gut Trompete spielen konnte, und ist drüben Professor geworden. Ich hole mal mein Familienalbum, da kannst du ihn fotografiert im Turnverein von 1903 sehn, und später mit Kreissäge. Hat mein Vater auch getragen, sagt die Frieda, er soll ein schöner Mann gewesen sein. Mein Vater auch, sagte ich, soll auch ganz schön gewesen sein; aber meine Mutter hatte ihn am Bändel. Meine Mutter meinen Vater auch, sagte die Frieda. Nur daß mein Vater, sagte ich, die Zügel letzten Endes doch in der Hand hatte; er war ja auch Amtmann. Mein Vater war ja auch Amtmann, sagte die Frieda, und hatte letzten Endes auch die Zügel in der Hand; aber meine Mutter bekam das ganze Gehalt als Haushaltsgeld. Meine Mutter auch, sagte ich, wir hatten auch eine Standuhr. Hatten wir auch, sagte die Frieda. Und meine Eltern waren auch im Kegelklub und im Kirchenchor. Waren meine auch, sagte die Frieda. Und wenn mein Vater, sagte ich, mal einen über den Durst getrunken hatte, hatte er immer den Hut so im Nacken. Genau wie mein Vater, sagte die Frieda, und meine Mutter sagte dann immer: Das hast du doch wohl nicht aus eigenem Antrieb gemacht. Genau wie meine Mutter, sagte ich, und mein Vater war dann auf einmal sehr dienstbeflissen und kaufte ein und trocknete mit ab, Geschirr und dicke Tränen. Genau wie ... sagte die Frieda und räusperte sich. Genau wie bei uns, sagte ich, und räusperte mich auch.

Da nahm die Frieda das Tintenfaß in die Hand und sagte: Schnapp! Sie warf es mir zu, ich schnappte, und dann ließ ich es im letzten Moment doch noch fallen. Das Tintenfaß splitterte in zwölf bis dreizehn Stücke und die Tinte floß seelenruhig in alle Himmelsrichtungen. In der ersten Aufregung holte ich Löschpapier, später einen Aufnehmer und fuhrwerkte auf dem Fußboden herum, und die Frieda sagte: Ich brauche dir nur zuzusehn, dann kann ich mir deinen Vater in jungen Jahren vorstellen. Und ich, sagte ich, brauche dich nur genau anzusehn, dann weiß ich heute schon, daß unsere Tochter ihren Mann mal am Bändel haben wird. Wenn wir aber wie neulich so von unserer Tochter sprechen, dann ist die Frieda auf einmal wieder ganz lustig, und ich bin deshalb auch wieder ganz lustig, und wir knallen keine Türen mehr, so daß die Leute über uns meinen, wir würden am Tage schlafen, und die Leute unter uns meinen, bei uns könne etwas nicht stimmen. Das geht so lange gut, bis die Frieda wieder ein Tintenfaß findet, ich wieder von meinem flämischen Spielmann fasele und die Frieda von ihrem Porzellanonkel aus Petersburg. Aber Gottseidank, so viel Tinte gibt es auf der Welt gar nicht, um das alles aufzuschreiben, was uns hinterher leidtut.
 
 
 
 Aus: Von Windeln verweht (1961) / Der Große Hüsch - Band 2 (2011)

© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 2" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung