Offene Ohren

von Wolf Christian von Wedel Parlow
Offene Ohren
 
Dem Nachbarn sollt' ich die Krise erklären, ich sei
doch vom Fach. Spielsucht, sagt' ich, das sei nicht
mein Fach. Aber nu mal im Ernst, sagt' der Nachbar,
ich wolle ihn wohl vergackeiern. Nein, nein, sagt' ich,
ob er schon mal im Casino gewesen sei in der
letzten Zeit. Da fände er nur noch die Alten, die
Jungen säßen jetzt bei Blessing vor dem Bildschirm,
spielten über Nacht mal eben ne Milliarde ein, im
Dreieck Tokio, Singapur, Shanghai. Wohin nun mit
dem ganzen Zaster, Chef? Und schauten zu ihm auf.
Staatsanleihen, befahl der und legte den Finger
auf das Inselreich tief unten in Europas Südosten.
Die brächten jetzt am meisten. Aber vor denen würde
doch schon gewarnt, wandten sie ein. Kaufen sagt'
ich, und ich red' nicht gern zweimal. Und schlug
mit der Peitsche. Da spielten sie jede Nacht ne
weitere Milliarde ein und legten sie tief unten im
Südosten an. Es dauerte nicht lange, da trat
Blessing mal wieder hinter sie und hob die Nase
in den Wind. Was roch da so faul vom Südosten
herauf? Langsam abstoßen, befahl er. Bei den
Kursen, Chef? Und schauten zu ihm auf. Abstoßen
sagt' ich und ich red' nicht gern zweimal, aber für
euch wiederhol' ich's. Habt keine Angst. Es passiert
uns schon nichts. Ihr wißt nicht, wie offene
Ohren man für uns hat im Colosseum von Berlin. -
So legt' ich's dem Nachbarn zurecht, verstand's
selber nicht ganz. Der Nachbar war nicht zufrieden.
So einfach könne es nicht sein. Ich hätte ihn ja
gewarnt, sagte ich, Spielsucht sei nicht mein Fach.


Wolf Christian von Wedel Parlow