Von der Schwierigkeit des Glücks

Lukas Hartmann - "Finsteres Glück"

von Frank Becker
Hungernde Seelen
 
Lukas Hartmann ist, das wissen wir, ein unübertrefflicher Meister der Sprache und der Recherche. In seinem psychologischen Roman "Finsteres Glück" zeigt er das nicht nur unerhört brillant erneut, er erweitert die Kunst seines Erzählens um eine Dimension, indem es ihm gelingt, als Erzähler(in) mit der diffizilen Rolle seiner Protagonistin Eliane Hess zu verschmelzen, einer Psychologin, die den Auftrag bekommt, sich um ein schwer traumatisiertes Kind zu kümmern.
 
Als einziger hat der acht Jahre alte Yves einen Autounfall überlebt, bei dem seine Eltern und seine beiden Geschwister ums Leben gekommen sind. Eliane muß zum einen versuchen Nähe zu dem Kind aufzubauen, zum anderen es aus dem Trauma zu lösen. Was steckt hinter dem fatalen Unglück, war es wirklich ein Unfall, eine Verkettung unglücklicher Umstände, oder war es die letzte Konsequenz einer familiären Zerrüttung, ein Suizid des Vaters am Steuer, der damit seine ganze Familie auslöschen wollte? Eliane Hess steht, auch angesichts des Drucks seitens der Behörden und der Verwandten des Jungen, vor einer schweren Aufgabe.
 
Lukas Hartmann versteht es, die Familiengeschichte seiner Protagonistin, ihres eigenen Schicksals, ihrer Gefühlswelt geschickt mit der Geschichte ihres Schützlings und seiner Umgebung zu verflechten. Er erzeugt erzählerisch einen Sog, dem man sich einfach nicht verweigern kann. Wer den ersten Satz gelesen hat, mag vor dem letzten nicht absetzen. Wir sind haut- und gefühlsnah so eng dabei, daß wir als Leser nicht den Hauch einer Chance haben, uns dem Fortgang der Geschichte zu entziehen, denn wir wollen erfahren, was wirklich geschah, wie Eliane, die sich immer weiter und immer tiefer in ihren „Fall“ verstrickt, das mit sich und ihren heranwachsenden Töchtern und dem Verhältnis zu ihrem geschiedenen Mann vereinbart.
 
„Finsteres Glück“ entwickelt sich zu einem Kabinettstück der Sprache, einem Meisterwerk der Psychologie und einem spannenden Exkurs in Kunstgeschichte – denn der in Colmar bewahrte Isenheimer Altar von Matthias Grünewald spielt eine nicht unbedeutende Rolle – sowie zu einem vielschichtigen, philanthropischen Lehrstück. Mit Hartmann/Eliane dringen wir in seelische Tiefen vor, die vielleicht sogar in unser aller Leben im Dämmer liegen, wir erkennen in ihren Schwächen die unseren und in ihren an der Situation wachsenden Töchtern die Stärken einer jüngeren Generation. Meisterlich auch der Einschub einer "Aufzeichnung" Adrians, des noch immer geliebten Ex-Partners Elianes, Vater von Alice und plötzlicher Fels in der Brandung der Gefühle.

Immer enger verflechten sich die Schicksale Elianes und Yves´, der unlösbar in das Leben Elianes und ihrer Töchter Alice und Helene einzieht. Schließlich erfahren wir nach einer dramatischen Reise in die Vergangenheit die wirklichen Hintergründe, dürfen an der Öffnung einer gequälten Seele teilnehmen, und können dank einer eleganten Wendung Hartmanns Hoffnung für die uns ans Herz gewachsenen Figuren des Romans schöpfen. Lukas Hartmann hatte schon durch „Bis ans Ende der Meere“ unsere ungeteilte Sympathie. Mit „Finsteres Glück“ ist er endgültig in unseren Olymp eingezogen. Ein Musenkuß für Lukas Hartmann und seinen Roman.

Beispielbild

Lukas Hartmann
Finsteres Glück
 
Roman
 
detebe 24094, 320 Seiten Broschur,
Erschienen in Dez. 2011
ISBN 978-3-257-24094-8
€ (D) 10.90 / (A) 11.30
sFr 17.90*
 
Hardcover Leinen, 320 Seiten
Erschienen in Sept. 2010
ISBN 978-3-257-06759-0
€ (D) 19.90 / (A) 20.50
sFr 35.90*

* unverb. Preisempfehlung
 
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