Lesung

Der gestörte Hörgenuß

von Joachim Klinger

Lesung

Ja, sie liest gut. Sie trägt gut vor.
Die Zuhörer sind ganz Auge und Ohr.

Und wie sie spricht! Die Frau hat Stil.
Das dunkle Haar, das feine Profil.

Die Stimme klangvoll, ein schwebender Ton.
Richtig dosiert die Portion Emotion!

Ich mag es nicht, wenn die Stimme schwankt.
Doch ihre bleibt klar, Gott sei' s gedankt!

Sie räuspert sich nie und trinkt aus dem Glas
nur wenig, immer mit Augenmaß.

Ich finde, indem sie die Zeilen spricht,
entfaltet sich neu das ganze Gedicht.

So wird ein Text zur Geltung gebracht,
das heißt vertieft und nicht abgeflacht.

Und lauscht man ihr, hört man richtig hin,
versteht man besser, erschließt sich der Sinn.

Ich mag ihr Gesicht, so blass und oval,
und diese Hände, ganz schmucklos und schmal!

Was fummelst du denn am Hörapparat?
Schon wieder kaputt dieser winzige Draht?

Wie peinlich! Geh' raus! Das Pfeifen wird laut.
Du hast mir den ganzen Abend versaut.


© Joachim Klinger – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007