Endzeit

Hannelore Valencak - "Die Höhlen Noahs"

von Frank Becker
Endzeit
 
Hannelore Valencaks
düsteres Vermächtnis
 
Zur Zeit der Eskalation des Kalten Krieges, als  Nevil Shutes „On the beach“ (Das letzte Ufer) 1957 die Sorge vor der Vernichtung der Erde durch eine atomare Auseinandersetzung der Weltmächte literarisch artikulierte, lag auch Hannelore Valencaks (1929-2004) Roman „Die Höhlen Noahs“ bereits vor, gelangte aber erst 1961 ohne nennenswerte Resonanz auf den deutschsprachigen Buchmarkt. Nur acht Jahre nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs, nach Hiroshima und Nagasaki hatte sie 1953 begonnen, diese angsterfüllte Vision der globalen Vernichtung niederzuschreiben. Der Residenz Verlag hat dieses Vermächtnis jetzt als zweites Buch Hannelore Valencaks nach "Das Fenster zum Sommer" dem Vergessen entrissen. Wie der von der deutschen Literaturwissenschaft hochmütig ignorierte Shute, der in seinem später hochrangig besetzt verfilmten Roman für eine begrenzte letzte Zeit des Besitzes von Technologie vor dem nuklearen Aus für alle Lebewesen noch ein Fünkchen Zuversicht übrig ließ, läßt auch Hannelore Valencak für eine gewisse Zeit einen Keim der Hoffnung zu.
 
Doch anders als Shute, dessen Roman im sonnenbeschienenen unzerstörten Australien mit allen zivilisatorischen Errungenschaften spielt, siedelt Valencak ihre Geschichte um eine letzte Handvoll Menschen, die freudlos stumpf in einer Höhle in einem abgeschlossenen Talkessel überleben, in einem allgegenwärtigen Grollen der Natur an, das die letzte Insel in einer grauenhaft zerstörten Welt zu einem fragilen Zufluchtsort macht. Das Besondere an Valencaks Entwurf einer Endzeit ist, daß sie völlig darauf verzichtet, Anlaß, Geschehen, Art und Ausmaß der Weltzerstörung zu erläutern. Da scheint mir die Interpretation im Nachwort von Evelyne Polt-Heinzl, Valencak habe sich aufs Dritte Reich und seine Folgen bezogen, recht gewagt. Valencaks Buch wirkt auf den Leser wie die unmittelbare Reaktion auf die nukleare Aufrüstung der Sieger des Zweiten Weltkriegs. Selbst Zeitabläufe bleiben merkwürdig vage. So wie die zunächst sechs, dann nur noch fünf Überlebenden ihre karge Existenz fristen, bleiben bis auf wenige in Stunden oder Tagen zu messenden Abläufe und eine Schwangerschaft die Zeitdimensionen unwirklich offen. Auch nach stringenter Logik darf der Leser ob der oft kryptischen Gegebenheiten nicht verlangen. Fiktion darf behaupten.
 
Schon bald macht die Autorin die Aussichtslosigkeit deutlich, in der ihre Protagonisten mehr vegetieren als leben, zeigt das Vergessen, das Besitz selbst von den Wissenden ergreift, aber auch das unausgesprochne Wissen, das den „Alten“ den gänzlichen Untergang des Menschengeschlechts wünschen läßt. Und sie läßt die fatalen Entwicklungen erkennen, welche die Machtstruktur einer archaischen Gesellschaft zur Folge hat. Ohne die Spur einer Hoffnung, selbst in der erwachenden Liebe – oder ist es nur sexuelles Erwachen – zwischen Luise und Georg, gezeichnet von Mißtrauen, Angst, Erbärmlichkeit, richten sich die aufeinander angewiesenen Personen in Rivalität, Haß, Inzest und Mißverständnis zugrunde. „Die Höhlen Noahs“ birgt keine Aussicht auf eine Arche, einen Berg Ararat, von dem aus ein neues, besseres Leben beginnen könnte. Hannelore Valencaks zutiefst pessimistischer, düsterer Roman liegt als schwere Last auf dem Gemüt des Rezensenten – und sicher auch des Lesers, der sich diesen Brocken vornimmt. Es braucht Mut dazu.
 

Hannelore Valencak - Die Höhlen Noahs
Roman
 © 2012 Residenz Verlag, 249 Seiten, gebunden, ISBN: 9783701715824 
€ 21,90 / sFr 31,90
 
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