Ingrid Schuh 70

Ein Geburtstagsgruß

von Frank Becker

Ingrid Schuh - Foto © Frank Becker
Ingrid Schuh 70
 
Über 50 Jahre Jazzgeschichte in Wupper­tal verbinden sich mit dem Namen Ingrid Schuh. Rechnet man zurück, muß sie ein verdammt junges Ding gewesen sein, als sie mit dem Jazz anfing. Nach einer Lehre bei Radio Gösser hatte sie sich der damals sehr belebten Wuppertaler Jazz-Szene angeschlossen. Durch Vermittlung von Kenneth Spencer, dem amerikanischen Baß-Bariton, der seit 1954 mit seiner Familie in Wuppertal lebte, machte Ingrid Schuh ihre ersten Club-Erfahrungen im „Jazz-Bunker“ am Platz der Republik, wo sie Dieter Fränzel kennen lernte. Das war 1959. Auf einem Trümmer­grundstück am Alten Markt zogen die beiden danach in einem stilvollen Kellergewölbe mit ande­ren einen Jazz-Keller auf, die „Katakombe“. Und weil das „Boheme“ unter der „Lichtburg“, dem großen Barmer Kino so nah war, saßen sie häufig in dem intimen Club, um Berühmtheiten wie Attila Zoller, Hans Koller oder George Maycock zu hören. Später wurde unter Fränzels Geschäftsführung aus dem „Boheme“ das Jazzlokal „Karogramm“ – und Ingrid Schuh war mit verschiedenen Aufgaben wieder dabei.
 
Der „Jazzclub Adersstraße“, in dem die Wuppertaler Wiege des Free Jazz stand und in dem Peter Kowald und Peter Brötzmann groß wurden, war die nächste Station auf dem Jazz-Pfad, den Ingrid Schuh ging. Das war Mitte der 60er Jahre. Das Team Schuh/Fränzel entdeckte neue Jazzer, gab ihnen die Chance, ihre Musik zu machen, gestaltete das Programm und vermittelte den Musikern über Fränzels Konzertbüro Kontakte zu anderen Veranstaltern. 1964 wurde von den beiden einen Steinwurf weiter das legendäre erste „Impuls“ am Döppersberg in einem ganz normalen Wohnhaus aus der Taufe gehoben. Ingrid Schuh erinnert sich an Carla Bley, Mike Mantler - und an die Beschwerden der Hausbewoh­ner. Nach dem legendären Konzert von Charles Mingus im April 1964 in der Wuppertaler Stadthalle, das von Fränzel und Schuh organisiert worden war, wurde in der „Palette“, dem kulinarischen Künstlertreffpunkt am Barmer Sedansberg das Steak „Charles Mingus“ (mit Roquefort überschmolzen) kreiert. Der Namensgeber und Ingrid Schuh waren dabei. Das „Impuls“ zog in die Viehhofstraße um, konnte sich aber nur noch bis 1974 halten.
 
Nach der einer Denk- und Kind-Pause meldete sich 1979 der Jazz zurück. Ingrid Schuh, die das zwischenzeitliche Sterben der Jazz-Club-Kultur als einschneidenden Verlust empfand, entwickelte am Küchentisch eine Ausweichstrategie, ihren Plan für den Volkshochschul-Jazzkurs. Im Verbund mit Rainer Widmanns Initiative kam mit dem 15. Oktober 1979, dem Tag des ersten VHS-Jazzkurs-Abends ein Stein ins Rollen, der noch immer in Bewegung ist und den Jazz über den Kon­takt mit dem Musiker „vor Ort“ hervorragend an das Kurs-Publikum heranträgt. Ein Glücksfall bei diesem Zufall war zudem, daß an der Schaltstelle Rainer Vorthmann saß, der die beiden Jazzfreunde zusammenbrachte.
 
So kam es, daß Rainer Widmann, der im selben Jahr die auch 2012 immer noch sehr aktive JazzAge mit ins Leben gerufen hatte und deren Vorsitzender er bis heute ist und Ingrid Schuh, seit Ende der 50er Jahre wichtige Protagonistin der Jazz-Geschichte Wuppertals, zusammentrafen und ihre Ideen bündeln konnten. Die Ausgangspunkte der beiden Gründer unterschieden sich, wenn auch das Ziel das gleiche war. Ingrid Schuh vermißte nach einer familiären Auszeit die früheren Jazz-Clubs als Orte der Begegnung mit dem Jazz und seinen Musikern. Rainer Widmann, der sich als Neu-Wuppertaler sofort intensiv dem Jazz gewidmet hatte und nach E. Dieter Fränzel seit 1975 das Jazz-Programm des neuen Kommunikationszentrums „Die Börse“ gestaltet hatte, war genau wie Ingrid Schuh am Bildungsauftrag gelegen. Sie wollten „nachwachsende“ Jazzinteressierte ans Thema, an den Jazz und seine Macher heran führen. Daß sie sich trotz gleicher Interessen vorher nicht begegnet waren, mag daran gelegen haben, daß Widmann erst 1970 zugezogen war und Schuh eine Baby-Pause machte. Der nach dem Zusammenschluß gemeinsam entwickelte Plan einer auch Laien zugänglichen Heranführung an das Phänomen Jazz war so griffig, daß Vorthmann zustimmte und damit den Grundstein für jetzt 25 Jahre populärer Volksbildung in Sachen Jazz in Wuppertal legte.
Auch hier bewährten sich die von Ingrid Schuh über Jahrzehnte geschlossenen Kontakte und Freundschaften. Als Anfang der 80er Jahre erste Einsparungen nötig wurden, zog sich Rainer Widmann zurück. Ingrid Schuh bestellte seitdem das Feld alleine, von Widmann und Fränzel freundschaftlich begleitet. Nach einigen Quartierwechseln fand der Jazzkurs seit 2003 bis zum Ausklang vor zwei Jahren seine Heimat in den Räumen der Bergischen Musikschule.
 
Rund 200 Konzerte mit allen Jazz-Größen, die zwischen Köln und Hagen, Düsseldorf und Essen gastierten, hörten die Teilnehmer seither gemeinsam, besuchten unter Ingrid Schuhs Organisation die Jazz-Festivals in Leverkusen, Köln, Moers und Viersen, das Ruhrfestival in Bochum und das Festival Balver Höhle. Über 120 namhafte Gäste traten als Referenten und Solisten beim Kurs auf, darunter Robert Boden, Peter Brötzmann, Gunter Hampel, Bernd Köppen, Peter Kowald, Bernd Lissek, Andreas Bär, René Pretschner, Jan Kazda, Harald Eller, Gerd Dudek, Dietrich Rauschtenberger, Hans Reichel, Michael Rüsenberg, Helen Sachs, Wolfgang Sauer, Wolfgang Schmidtke und Ilse Storb. Künstler anderer Disziplinen, Schriftsteller, Fotografen, Schauspieler, Tänzer, Maler,

Ingrid Schuh mit Hermann Schulz - Foto © Frank Becker
Aktionskünstler u.a. waren beim Jazzkurs zu Gast. Sie nahmen vorweg, was heute als „Crossover“ Einzug in Festivals und Konzertreihen hält. Der Dramatiker und Romancier Karl Otto Mühl, der Komponist Lutz-Werner Hesse, die Generalmusikdirektoren Peter Gülke und George Hanson der Jazz-Autor Joe Viera, das Multitalent R.M.E. „Hühnerschaf“ Streuf, der Verleger M.C.Graeff, der Maler Gerd Hanebeck und der Stimmkünstler Mitch Heinrich zählten u.a. zu diesem illustren Kreis.
Daß der Jazz in Wuppertal nicht tot ist, ist gewiss auch dem Jazzkurs, einem in seiner Art und Lebensdauer in Deutschland wohl einzigartigen Projekt zu verdanken. Möglich geworden ist das allerdings nur mit der jahrzehntelangen Unterstützung durch Sponsoren, mit Hilfe der Printmedien und des Rundfunks, die dem Jazzkurs Aufmerksamkeit geschenkt haben und der Solidarität der mitwirkenden Künstler, die für wenig oder manchmal kein Geld ihre Kenntnisse zur Verfügung gestellt haben. Das Kurs-Programm firmiert unter der Überschrift „Jazz und mehr“ und dem Untertitel „Der Jazz und seine Spuren“. Ingrid Schuh hat maßgeblichen Anteil daran, daß diese Spuren in der Fabrikstadt an der Wupper hör- und sichtbar geworden – und geblieben sind.
 
Heute wird Ingrid Schuh 70 Jahre alt.
Die Musenblätter gratulieren!