Ditz Atrops

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Ditz Atrops
 
Ditz Atrops
Von dem hat ja auch kein Mensch
Mehr wat gehört
Obwohl
De jahrelang Geschichte studiert hat
Tagaus tagein
Hochintelligente Familie
Nur ewig voll
Ewig besoopen
De hätte ja alles werden können
Aber
Is nix draus geworden
Obwohl de jahrelang studiert hat
Geschichte un alles mögliche
De hätte sogar Papst werden können
Ja sicher
Warum nich
De war ja als Kind schon Meßdiener
Alles lateinisch
Aber ewig besoopen
Nich als Meßdiener
Später natürlich
De war
Wie soll ich sagen
Zu intelligent
Da hat man ja schon mal
Daß einer zu intelligent is
Und dann
Sagt man ja auch öfter
Genie un Wahnsinn
Enne verückte Jung
Enne vedreidige Jung
So hieß de ja auch immer
De verrückte Atrops .
De konnze fragen wat de wollst
Wie aus der Pistole geschossen
Daß Walter Rathenaus Mutter
Zum Beispiel dem Mörder ihres Sohnes verziehen hat
Also
Herr vergib ihnen
Denn sie wissen nicht was sie tun
Dat wußte de schon mit neun Jahren
Ditz Atrops
De wußte alles
Die ganzen Geschichten
Von Genovefa und Graf Golo
Un die schöne Magelone
Die mit dem Fischleib
Ne dat war ja die schöne Melusine
Die schmeiß ich immer durchenander
Aber is nix draus geworden
Schad ne
Aber so isset nun mal
De wollte ja nach Rußland ant Theater
Damals schon
Proletkultbühne
Hat er immer gesagt
Wir wußten ja nich wat dat war
Aber de wußte dat
De kannte ja all die Regisseure auswendig
Meyerhold und Marienhof un Tairoff
Un wie se all hießen
Aber
De saß auch als Jung schon immer mit de alt Brökelschen
Zusammen
Un las englische Zeitungen
Heimlich
War ja verboten damals
Un später wollte er glaub ich sogar
Nach Südamerika
Als Klavierspieler
Direkt am Amazonas
Wollte er sogar ne Oper komponieren
De weiße Indianer oder so ähnlich
Alles Quatsch natürlich
Aber hochintelligent
Die Mutter war ja ne geborene Berens
Von Berens Hof aus Rayen
Sechs Kinder
Der Ditz war de jüngste
Un de Schwächste
Logisch
Aber wie gesacht
De Begabteste
 
De Vatter war ja schon lang tot
Zungenkrebs sagt man
Sagt man
Obwohl et wird ja viel gesagt
Un mit Südamerika dat is dann auch nix geworden
Un Rußland dat war ihm dann doch wohl
En bißken zu weit
Seiner Mutter zuliebe
Er is dann bei son Sparkassenzweichstell
Inne Botenmeisterei gegangen
Seiner Mutter zuliebe
Aber ewig besoopen
Deswegen wahrscheinlich
Ich weiß et nich
Jeden Abend den Gott werden ließ
6 Uhr
Wer stand bei Lindemanns an de Thek
Ditz Atrops
Konnze de Uhr nach stellen
Kerzengrade stand de da
Sturzbesoffen
Aber hochintelligent
In der einen Hand dat Bier
Un in der andren de Schnaps
Un dann sang er immer
Wenn er mich sah
Sang er immer:
   »Erst wenn man Deinen Leib entdeckt
     In dem Winter übers Jahr«
Ich sag Ditz
Wo has du dat bloß all her
Weiß ich nich
Weiß ich nich
De hätte im Bundestag auftreten können
Un wenn Hein Lindemann sagte
Ditz nich so laut
Dann machte er eine tiefe Verbeugung
Un sagte
Sire lecken Sie mich am Arsch
De setzte sich an keinen Tisch
Immer nur anne Thek
Un wenn einer von de Anstreicherinnung reinkam
Rief er sofort
Die Kathedrale von Reims
Meine Herren
Muß auch mal wieder gestrichen werden
Un wenn sein Freund Gerwin Holtmann reinkam
Rief er sofort
Wir sollten mal wieder Eulen nach Orsoy tragen
Aber wie gesagt
Kerzengrade
Ditz Atrops
 
Un eines Tages war er weg
Spurlos verschwunden
Wie man so sagt
Kein Zettel
Nix
 
Bruckschens Katrin meint ja
Er hätt sich erschossen
Nee hab ich gesagt niemals
Doch de hat sich erschossen
In Brüssel
Bis ja verrückt in Brüssel erschossen
Ditz Atrops
 
Un Ernst Mechmann meint
Er wär in ein Kloster gegangen
Vielleicht be de Franziskaner
Oder so
 
Also ich weiß et nich
 
Ich seh den ja irgendwo anne Thek stehn
In Kanada
Oder sogar in Hongkong
De arme Jung
 
Un da singt er dann:
»Erst wenn man unsern Leib entdeckt
In dem Winter übers Jahr
Es ist in ihm viel Leid versteckt
Und Träume wunderbar
Doch dann lebt in unsrem Angesicht
Die Seele sonderbar
Erst wenn man unsern Leib entdeckt
Dann wird alles sternenklar«



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Das schwarze Schaf vom Niederrhein"
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung