Glücksmomente

Elke Schleich - „Gummitwist in Schalke-Nord“

von Frank Becker
Glücksmomente
 
„Gummitwist in Schalke-Nord“
 
Elke Schleich erzählt ein junges Leben
 
So intensiv wie Elke Schleich in „Gummitwist in Schalke-Nord“, ihrem „Roman in 18 Geschichten“, der schon durch seinem Titel ein verklärtes Lächeln auf die Gesichter einer eingeweihten Generation zaubert, ist es nach Sigi Domke, Margit Kruse und Karin Boehm in jüngerer Zeit wohl kaum einem anderen Autor gelungen, Zeitkolorit und Lebensgefühl des Dezenniums der 60er im Ruhrgebiet zu skizzieren, genauer: der Zeit zwischen 1959 und 1971.
 
Leni heißt das Mädchen, das Elke Schleich über eine Spanne von 12 Jahren beim Aufwachsen begleitet, in und mit ihrer Familie (Eltern, Bruder Berni und Schwester Uschi), bei ganz normalen Alltagsbegebenheiten wie dem Kartoffelkauf und dem Gang zum Bäcker, bei Busfahrten und dem Umgang mit dem in Groschen bemessenen Taschengeld. Wir gehen mit ihr und ihren Freunden zum Baden an den Rhein-Herne-Kanal und zum Osterfeuer, auf kleine Ferienreisen im bürgerlichen Rahmen, Verwandtenbesuch in der DDR (die damals noch Ostzone hieß), auf den Schulhof und später zu Partys. Und natürlich auch zum Gummitwist auf den Hof. 
Beim langsamen, fast unmerklichen Übergang von der Kindheit zur Jugend, bei dem als erstes die Illusion des Nikolaus der enttäuschenden, aber auch erhellenden Erkenntnis der Wahrheit zum Opfer fällt und der die erleichternde Wahrheit folgt, daß im Keller eben kein Bullemann lauert, sind wir amüsiert dabei. Den Mädchentraum vom eigenen Pferd dürfen wir mitträumen, das erste heftige Herzklopfen bei der Begegnung mit einem netten Jungen miterleben, Kirmesflirt und flatternde Verliebtheit, die Dummheiten und Unsicherheiten, mit der Leni sich - wie alle in ihrer Jugend - selber oft den Weg verstellt. Es ist deshalb ein so interessantes Leben, das uns Elke Schleich in ihrem wundervollen Buch erzählt, weil es auch unser Leben ist – hautnah vom TriTop bis zu den mißtrauisch beäugten Hippies in der Nachbarschaft erlebt und bereit, beim leisesten Anstoß in eigenen Erinnerungen wieder präsent zu sein.
 
Wie bitter, aber wie entscheidend als Schritt voran in die Welt der Erwachsenen der erste Kaffee und nach einem Spiel auf Schalke das erste kleine Bier waren, wie wichtig die Geschwister und die guten Freundinnen, wie herrlich die ersten eigenen Schallplatten von den Lords, Manfred Mann und den Beatles, im Rundfunkgeschäft an der Plattenbar gehört, schickt die Leser, zumal die zeitgenössischen, auf eine seelenwärmende Zeitreise. Da hatte längst nicht jeder ein Telefon zu Hause und ein Auto vor der Tür oder flog im Urlaub mal eben nach Thailand, Malle oder auf die Malediven. Daß man durchaus ohne MP3, Smartphone, Alcopops, teure Markenklamotten und Klassenfahrten nach Marokko eine phantastisch schöne, ganz normale Kindheit und Jugend haben kann, ist vielleicht auch reizvoll für jüngere Leser, die ein Leben ohne Playstation und Internet nie kennengelernt haben und denen die Namen Baader, Meinhof und Petra Schelm nichts sagen.  
 
All das erzählt Elke Schleich, die wir gewiß in der ungekünstelten und dadurch besonders sympathischen Romanfigur ihrer Marlene/Leni wiedererkennen dürfen, in geschliffener, doch nie überzogener Sprache, auf den Punkt genau und fein formuliert. Da wird nicht nach Sünden und Sensationen gefischt, da wird nichts in Alltag und Gesellschaft hineingeheimnist, werden keine Schlüpfrigkeiten probiert oder Abenteuer konstruiert. Es ist das Leben, nur das Leben. Das ist für einen jungen Menschen Abenteuer genug.
Ein Lesegenuß von besonderer Güte und von uns nicht nur sehr empfohlen, sondern mit unserem Prädikat ausgezeichnet: dem Musenkuß.
 
Elke Schleich – „Gummitwist in Schalke-Nord“ – Roman in 18 Geschichten
© 2012 Verlag Stories & Friends, 214 Seiten, gebunden, Lesebändchen, 18,90 €
 
Weitere Informationen: www.stories-and-friends.com