Vom Richtigen im Falschen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Vom Richtigen im Falschen

8. April: Daß Vorwärts  „Vorwärts“ heißt, ist ja voll in Ordnung. Das paßt und hat Sinn. Nur sollte darum auch eine entgegengesetzte Bewegung, die also rückwärts ausgesprochen „Sträwrov“ wird auch so heißen? Das käme der Bedeutung des Wortes sehr nahe und vereinfachte die Verständigung. Man bräuchte auch nur ein Wort für zwei Dinge. Sparsam wäre es also auch. Leider sperrte sich das Wort „Vorwärts“ gegen diese Verstümmelung. Es sagte, das sei verwirrend und demütigend. So kam es, daß man das Wort „Rückwärts“ erfand, es sollte nur dann auch rückwärts ausgesprochen werden, also: „Sträwkcür“, aber das wollte niemand sagen. So blieb vorwärts „Vorwärts“ und „Sträwkcür“ „Rückwärts“. „Sonst kommt alles durcheinander“, sagte Herr Vorwärts. „Sie meinen wohl Anderdurchein, oder?“, sagte Frau Rückwärts. Erst verstand Herr Vorwärts das Durcheinander nicht, bis ihm klar wurde, daß auch das Wort Durcheinander vielleicht zu geordnet klang.
 
10. April: Manchmal wird bei Lidl auch gesungen. Ich sah mal eine Kassiererin, die sang dort dieses Lied: „Bum Bum Bum. Spürst du den Schmerz, sei stumm. Genieße das Gefühl, dann ist dir nicht so kühl. Bum Bum Bum.“ Natürlich wußte sie nicht, daß sie dabei überwacht wurde. Vielleicht hätte sie sonst ein anderes Lied gesungen.
 
12. April: Padermann hatte über sich einen Regenschirm aufgespannt, der mit bekannten Paderborner Motiven beeindrucken wollte. Man sah dort unter einem strahlend blauen Himmel den Dom und den heiligen Liborius, die Sonne schien über dem Rathaus und über allem, was sonst noch in der Paderstadt geschätzt wurde. Alle Häuser und Denkmäler wurden von einem blauen Himmel begleitet, als hätte der Zeichner die Dreihasenstadt an einem Sonnentag gemalt. Ging man nun bei Regen unter dem aufgespannten Regenschirm durch die Regenstadt, wurden die sommerlichen Bildmotive von Regentropfen bestürmt. Konnte man mit diesem Widerspruch leben? Wie mußte man sich fühlen, wenn es aus allen Himmeln schüttete, nur der aufgespannte Regenschirm gaukelte eine lichtdurchflutete Innenstadt vor? Trug man nicht über sich eine sonnenbeglückte Parallelwelt, was vom Richtigen im Falschen kündete (oder umgekehrt)? Wäre es nicht konsequenter gewesen, den Regenschirm durch eine gewisse Grauheit und Nüchternheit seinem Einsatzzweck anzupassen? Sicher, ein Regnschirm muß auch gefallen, wenn es nicht regnet. Oft trägt man einen Regenschirm bei sich, weil man Regen fürchtet. Man will auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und dann regnet es doch nicht. Wie kann ich einen Regenschirm mit Wetterstimmungen schmücken, die seinen Einsatz unnötig machen würden? Schlägt man die Hand, die einen ernährt? Wenn der Künstler diesen Motiven einen Regenbogen hinzugesetzt hätte, das hätte wieder Sinn gehabt. Denn wenn der sonnengeschmückte Regenschirm von Regentropfen begleitet wird, dann müßte sich eigentlich ein Regenbogen bilden. Hier würde etwas Gemeinsames entstehen, was Sonne und Regen verbindet. Das wäre sinnvoll gewesen. Zum Glück war Padermann ein Superheld, der solche Zerreißproben mit links meistern konnte. Als Superheld tropfte der Regen von ihm ab wie von einer Teflonpfanne. Padermann trug den Paderbornregenschirm nur, um nicht bei Regen unnötig aufzufallen.



© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2012
Redaktion: Frank Becker