Die Öffentliche Meinung macht nicht mehr mit

Politik und Erotik: „Orpheus in der Unterwelt“ in einer Inszenierung des Theater Solingen

von Frank Becker

Anna Herbst, Sarah Schnier, Anna Wagner, hinten: Ralf Rhiel
Foto © Andreas Deus
Die Öffentliche Meinung
macht nicht mehr mit
 
Politik und Erotik:
„Orpheus in der Unterwelt“
Eine Inszenierung
des Theater Solingen
 
 
Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten
oder auch streichen können, sondern der
geistige Boden, der unsere eigentliche innere
Überlebensfähigkeit sichert.
 
Richard von Weizsäcker
 
So geht das nicht!
 
„Halt, so geht das nicht! Hier geht es um Klassik!“ Mit scharfem Appell an Orpheus (Gast Raphael Pauß) und Jacques Offenbach versucht Die öffentlichen Meinung (Daniela Jungblut), dem Schabernack mit der griechischen Mythologie in Offenbachs Opéra bouffon „Orpheus in der Unterwelt“ Einhalt zu gebieten, in der er einen köstlichen Reigen von Karikaturen irdischer Anti-Helden und göttlicher Gauner aufmarschieren läßt. Eine Wohltat, wenn ein Genre sich derart selbst auf die Schippe nimmt. Igor Folwil hat in seiner Neufassung und Inszenierung für das Theater Solingen im Bühnenbild von Manfred Kaderk auch die Sprache den Zeitläufen angepaßt. Vor dem Hintergrund der möglichen politischen Entscheidung der Bergischen Städte Remscheid und Solingen, ihr gemeinsam unterhaltenes vortreffliches Orchester, die Bergischen Symphoniker aus Etatgründen einzusparen, bekommen solche Appelle der Eigenproduktion einer regionalen Bühne natürlich ein besonderes politisches Gewicht. Schon in der heiter beschwingten Ouvertüre zeigte das Orchester seine Qualität mit Solo-Stimmen von Klarinette, Cello und Violine.
 
Ein Kabinettstückchen des Styx
 
Entführungsopfer können echt nervig sein. Das muß Pluto (Gast Manfred Ohnoutka) leidvoll erfahren, der die schöne Eurydike (Tina Stegemann), die er sich auf der Erde in Verkleidung des Hirten

"Gott ist die schön!" - Henner Leyhe, Tina Stegemann - © Andreas Deus
Aristeus Schäfer bereits explizit nicht nur zur Brust nahm, in den Hades verschleppt hat, um ihr dort gründlich an die Wäsche zu gehen. Zu Orpheus´ Vergnügen, notabene, denn der hat seine Frau längst satt so wie sie ihn. Nun langweilt sie sich dort unten, statt des erwarteten Liebesfeuers heißt es warten. Und die Avancen des vertrottelten Hans Styx („Gott, ist die schön!“) bringen die liebesdurstige Blondine auch nicht unbedingt weiter. Ein Kabinettstück feinen Humors lieferte Erzkomödiant Henner Leyhe als Höllen-Pedell Styx mit schönem Tenor „Als ich noch Prinz war von Arkadien“ und liebenswertem Spiel.
Heiß wird es derweil Göttervater Jupiter (Ralf Rhiel) im als lustloser Stadtrat daher kommenden Olymp. Gattin Juno (Anna Wagner) unterstellt, er habe die Schöne entführt (tut er ja sonst auch immer). Zur Überführung des leugnenden Pluto macht der Olymp mit deutlichen Anspielungen an die Lokalpolitik („Was weißt du von Kunst, über die Notwendigkeit eines Orchesters!“) einen Ausflug in den Hades, willkommene Abwechslung nach Nektar und Ambrosia bis zum Erbrechen. In der Hölle gibt’s ein Bacchanal, das für einige mit einem Kater endet. Daß Jupiter in Fliegenverkleidung dann doch noch die flotte Eurydike – er hat nämlich auch Appetit auf die Blondine bekommen - im „Summs-Duett“ herumkriegt, löst ihren (und seinen) Frust. Auf Drängen Der öffentlichen Meinung soll Orpheus schließlich Eurydike zurückbekommen – doch es geht augenzwinkernd ein wenig anders aus.
 
So geht das schon!
 
Es ist viel Witz drin: Olymp als verschnarchter Stadtrat, Hölle als veritables Pantomimen-Theater,

Sarah Schnier - Foto © Andreas Deus
Rollrasen fürs Stelldichein, Merkur (Carles Prat) auf dem Kickboard (füher nannte man das Tretroller) oder das höchst erotische Violinspiel Orpheus´(im Hintergrund: Alexei Serebrianyi) auf Eurydikes bebender Körpermitte. Überhaupt: Erotik spielt in vielen Andeutungen, Symbolen, Reden und Handgreiflichkeiten eine Offenbachs Intention angemessene Rolle.
Glänzende Stimmen, voran die Damen Tina Stegemann (als merkwürdig prüde verhüllte Kokotte), die bildschöne Sarah Schnier als Diana mit glitzernd klarem Sopran und der ihrer berückenden Erscheinung schmeichelnden Garderobe (eine Augen- und Ohrenweide), Kerstin Bauer als Cupido, kraftvoll Daniela Jungblut als Die öffentliche Meinung und Vollblutweib Anna Wagner als hinreißende Juno machten mit der Musik Offenbachs unter Peter Kuhns Leitung gemeinsame gute Sache.
Raphael Pauß gab einen sympathisch notgeilen Orpheus mit Elevin auf dem Schoß, ein augenzwinkernder Seitenhieb auf den Musikschulbetrieb. In Solo wie Ensemble („Hinab!“, „Ach ich habe sie verloren“) bescherten sie samt hervorragend einstudierten Chören Genuß. Horst Meinardus leitete den Opernchor der Kölner Hochschule und den Theaterchor Solingen. Frech, aber durchaus passend ein geklauter Abstecher zu Hans Steinhoffs Film „Tanz auf dem Vulkan“ mit Theo Mackebens „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“.
 

Jetzt nur nicht umdrehen (...oder doch?) - Raphael Pauß, Tina Stegemann

Nach drei erfolgreichen Vorstellungen im Solinger Konzerthaus zweien im gut besuchten
Remscheider Teo Otto Theater ist offenbar: das Publikum goutiert die „hausgemachte“ Kultur. Das Theater Solingen hat mit den Bergischen Symphonikern und hervorragenden Kräften der Musikhochschule Köln eine außerordentlich beachtliche, höchst unterhaltsame Inszenierung auf die Beine gestellt, die auch gegen die Einsparung des brillanten Orchesters ein Argument ist: „Halt, so geht das nicht!“
 
Fotos: Andreas Deus