Benjamin Britten bei den Bregenzer Festspielen

"Paul Bunyan" und "Tod in Venedig"

besucht von Martin Freitag


Benjamin Britten in Bregenz

 

Paul Bunyan

Orpheus britannicus, letztes Jahrhundert

Die Bregenzer Festspiele bieten mehr als nur die populäre Oper für Nichtoperngänger auf dem See, sondern seit der Ägide Pountneys sehr ambitionierte, moderne Oper. Der Komponist, der dieses Jahr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt wurde, ist Benjamin Britten mit seinem ersten und letzten Bühnenwerk und in den Konzerten zusammen mit seinem Freund Dmitri Schostakowitsch, soweit man bei so unterschiedlichen Menschen von Freundschaft sprechen kann.

Die Operettenposition im Theater am Kornmarkt übernahm Brittens erstes Bühnenwerk, das er auf der Flucht vor dem Zweiten Weltkrieg in und für die Vereinigten Staaten geschrieben hatte: die "Holzfälleroperette" "Paul Bunyan"; dieser sagenhaft riesige Baumfäller gehört wie Pocahontas zu den amerikanischen Mythen, die außer in den USA nirgendwo wirklich Fuß fassen konnten, denn es geht letztendlich um die Besiedlung der amerikanischen Wildnis durch den weißen Mann. Audens durchaus kritisches, aber auch etwas „sophisticatetes“ Libretto hat etwas archaisches, gewinnt aber zusammengestückelte Züge, die durch den Balladensänger, sympathisch der Schauspieler Markus Pol mit etwas indianerhaften Zügen, eine Klammer finden sollen. Singende Bäume und Tiere nähren den mythischen Charakter des Werkes, um eine Nation, die zu sich selbst findet, mit guten und bösen Charakteren, die letztenendes durch den großen Geist der Nation, Paul Bunyan, gebändigt, in einem Erntedankfest mit anschließender Apotheose endet. Die Musik ist sehr polystilistisch, erinnert im Musicalton oft an Weill, greift aber auch typisch amerikanische Unterhaltungsmusik wie den Blues auf. Oratorienhafte Stellen lassen aber auch stark an den Orff der antiken Stücke denken, und auch hier zeigt sich der unverwechselbare Britten, wenn auch noch nicht so ausgeprägt, doch schon vorhanden. Von vielem etwas, aber: eine Operette ist das nicht wirklich. Auch kein in sich gelungenes Werk, sondern ein gekonnter Versuch, der vielleicht am ehesten auf die Bühnen der Musikhochschulen paßt. Doch hätte man es nicht gespielt, wir wüßten es nicht.

Die Aufführung selbst ist eigentlich, trotz der phantasievoll abstrahierten Bühnenbilder der Brothers Quay, recht konventionell. Nicholas Broadhurst setzt auf schlichtes Erzählen der "Handlung", mit etwas revuehaften Elementen, die Menschen tummeln sich in witzigem Karoflanell, während die Tiere als amerikanische Prototypen a la Village People gezeigt werden: so werden die Wildgänse lustig zu Flugbegleiterinnen (gekonnte Kostüme von Timo Dentler und Okarina Peter), musikalisch sind da Anklänge an die Rheintöchter zu finden.

Für die Produktion hat man den klassischen Brittendirigenten Steuart Bedford gewonnen, der mit sicherem Gespür das Symphonieorchester Vorarlberg durch die polystilistische Partitur führt. Die Sänger bringen sich durch die Bank weg in ihren z.T. Mehrfachrollen ein. Wichtigster musikalischer Part ist der Buchhalter Inkslinger, vielleicht das alter ego des Librettisten Auden, Tenor Roberto Gionfreddo bringt die vielen musikalischen Stile sicher und sympathisch unter einen Hut, wenn auch der etwas fahle Klang seiner Stimme in den oberen Lagen nicht betört. Das Liebespaar, Sopran und Tenor, liegt sicher in den Kehlen von Gillian Keith (silbrig) und Juan Carlos Falcon (Marke Latin Lover), der wankende Staatsvertreter Hel Helson findet im maskulinem Bariton Meik Schwalms die richtige Besetzung. Die beiden bösen Köche werden mit viel Spaß von Markus Francke und James Martin effektvoll über die Rampe gebracht, Andrea Bogner, Heather Shipp und Bonita Hyman singen neben den homogenen Wildgänsen noch Hund und Katzen mit viel stimmlicher wie spielerischer Ausstrahlung. Ganz toll auch die vielen Rollenverkörperungen menschlicher wie tierischer Art der jungen Sänger Christian Scherler, Xavier und Arnaud Rouillon, Michael Schober, Markus Raab und Martin Dablander. Und ebenfalls mehr als adäquat der Kornmarktchor in seiner Gesamtheit wie in kleinen Solopartien. Wo bleibt nur die Titelfigur? Paul Bunyan, der riesenhafte Holzfäller erscheint gar nicht auf der Bühne, sondern nur als Stimme aus dem Off, hervorragend vom Schauspieler Helmut Krauss gegeben. Gesungen wird übrigens relativ verständlich in der deutschen Übersetzung von (immerhin!) Erich Fried.

Besetzung:
Musikalische Leitung: Steuart Bedford
Inszenierung: Nicholas Broadhurst
Bühnenbild: Brothers Quay
Kostüme: Timo Dentler & Okarina Peter
Light Design: Gerard Cleven
Choreographie: Struan Leslie
Chorleitung: Wolfgang Schwendinger

Paul Bunyan: Helmut Krauss
Johnny Inkslinger: Roberto Gionfriddo
Tiny: Gillian Keith
Hot Biscuit Slim: Juan Carlos Falcon
Hel Helson: Meik Schwalm
Sam Sharkey: Markus Francke
Beb Benny: James Martin
Vier Schweden: Christian Scherler, Xavier Rouillon, Arnaud Rouillon, Michael Schober
John Shears: Markus Raab
Western Union Boy: Martin Dablander
Fido: Andrea Bogner
Moppet: Heather Shipp
Poppet: Bonita Hyman
Erzähler: Markus Pol
andere Solostimmen: Mitglieder des Kornmarktchores


Tod in Venedig

Eine andere Sache ist die Aufführung von Brittens letzter Oper "Tod in Venedig". Hier handelt es sich, schon durch die geniale Novelle Thomas Manns, um einen linearen, wenn auch sehr introspektiven Erzählstrang. Das Werk erfreut sich in letzter Zeit erfreulicher Verbreitung, wie z.B. bei den gelungenen Aufführungen in Frankfurt und Krefeld, obwohl es sich sicherlich um ein musikalisch recht sprödes Brittenwerk handelt. Beeinflußt von asiatischer Gamelanmusik entsteht in dieser letzten Oper Brittens ebenfalls eine klangliche Parallele zu Orffs Archaismus. Wir haben ein gelungenes Stück Musiktheater vor uns.

Bei der Bregenzer Aufführung kann man eigentlich von einer Modellaufführung sprechen, die es verdienen würde, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Der japanische Regisseur Yoshi Oida nähert sich mit größtmöglichem Respekt der Vorlage und setzt die Handlung quasi Eins zu Eins um - daß trotzdem etwas Eigenes entsteht, liegt an der Art der Annäherung. Nutzt Oida doch die epischen Mittel des asiatischen Theaters zur Umsetzung des gelungenen Abends: während alle Handelnden in den Kostümen (Richard Hudson) der Originalzeit der Novelle agieren, ist das Bühnenbild (Tom Schenk) auf weniges reduziert, verschiebbare Holzpodien über einer Wasserfläche lassen die vielen verschiedenen Schauplätze in Sekundenschnelle durch raffinierte Lichtwechsel (Light Design Paule Constable) tauschen, ein Stuhl und wenige Requisiten (arrangiert durch zwei schwarz gekleidete Spielleiter) reichen aus, um die nötige Atmosphäre zu schaffen. Wenn Aschenbach auf einem Stuhl monologisiert und ein Spielleiter hinter ihm mit einem Ruder die nicht vorhandene Gondel führt, reicht es vollständig, um die Situation zu charakterisieren. Die anspruchvollen Tadziu-Szenen werden vom Tanztheater Nürnberg in der Choreographie von Daniela Kurz schlicht und ohne Peinlichkeit gezeigt, teils nur agiert, teils modern getanzt. Hier sei nur der herausragende Darsteller des Aschenbachschen Liebesobjektes Tadziu, Pavel Povraznik, stellvertretend lobend erwähnt. Oidas Personenführung ist allerdings auch von imponierender Intensität.

Die Oper  steht und fällt natürlich mit dem Protagonisten des Aschenbach, mit Alan Oke findet sich eine Idealbesetzung. Konzentration in den Monologen und natürliche Schlichtheit in der Darstellung eines expressiv gehemmten Charakters treffen auf klare Diktion und idealen Gesang, der auch eine leichte Trübung zur Darstellung nutzt. Besser geht´s eigentlich nicht in der anspruchsvollen Rolle, die Britten seinem langjährigen Lebensgefähren, dem Tenor  Peter Pears, auf den Leib geschrieben hatte. Ebenfalls ein Kunstgriff betrifft den Darsteller der vielen Baritonrollen des Stückes, der offene Umzüge an der Seite der Bühne vornimmt und so, für das Publikum sichtbar, von einer Rolle in die andere schlüpft. Dem Baßbariton Peter Sidhom gelingt es, in Stimmfarbe und  Darstellung die jeweilige Person vorzuführen, vom geckenhaften Mitreisenden bis aaligen Hotelmanager. Der Kontratenor bezaubert vokal als klarstimmiger Apollo und als Angestellter des Reisebüros macht Damian Thantrey nachdrücklich auf sich aufmerksam. Die ungezählten kleinen Rollen werden mit Präsenz und Präzision vom Britten Festival Chorus unter Philip Sunderland ausgeführt. Mit Paul Daniel findet sich am Pult der hervorragenden Wiener Symphoniker ein Dirigent mit großem Atem, der die großen Bögen und kleinen Klangteile der spröden Partitur zusammenhält. Ein stilles, konzentriertes Publikum unterstreicht eigentlich mehr als jedes Lob den hohen Rang der Aufführung. Beispielhaft!

Besetzung:
gesehene Aufführung: 4.8.07
Musikalische Leitung: Paul Daniel
Inszenierung: Yoshi Oida
Bühnenbild: Tom Schenk
Kostüme: Richard Hudson
Licht-Design: Paule Constable
Choreographie: Daniela Kurz
Chorleitung: Philip Sunderland

Aschenbach: Alan Oke
Der Reisende u.v.a.: Peter Sidhom
Stimme Apollos: Will Towers
Angestellter des Reisebüros: Damian Thantrey
Tadzio(Tanz): Pavel Povraznik
andere Solorollen Britten Festival Chorus  und Tanztheater Nürnberg

Redaktion: Frank Becker