Im Land der schwarzen Pharaonen (1)

Eine Reise durch den Sudan: Khartum - Meroe – Naga

von Johannes Vesper

Apedemak - Foto © Johannes Vesper
Im Land der
schwarzen Pharaonen
 
Khartum - Meroe – Naga –
Jebel Barkal – Kerma - Soleb
 
9000 Jahre Siedlungsgeschichte am Nil -
Unterwegs in Nubien (Sudan)
 
Von Johannes Vesper
 
Nubien heute, das ist das Niltal im Sudan zwischen Khartum am Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils und dem südlichen Ende des Assuan-Staudamms bei Wadi Halfa. Das antike Nubien reichte noch weiter nach Norden in das heutige Ägypten hinein. Dieser Teil ist jetzt über ca. 500 km vom Assuan-Stausee überschwemmt. Das Land lebt seit Jahrtausenden vom Wasser des Nil, von seinem Schlamm nach Überschwemmung des Uferstreifens. Das antike Nubien wurde von den alten Ägyptern auch als das Reich Kusch bezeichnet, ein umfassender Begriff für alles, was sich südlich des 1. Kataraktes erstreckt. Zwischen dem Reiche Kusch und Ägypten gab es wegen der reichen Gold- und Kupfervorkommen schon in der Antike rege Wechselbeziehungen. Heutzutage ist das Wasser des Nils, welches aufgestaut und zur Energiegewinnung benutzt oder für die Landwirtschaft entnommen werden kann, der Grund für nicht immer freundliche Wechselbeziehungen zwischen den beiden Staaten. Das Reich Kusch entwickelte über Jahrtausende keine eigene Schrift und fertigte keine Aufzeichnungen an. Erst während des meroitischen Reiches also seit ca. 300 v. Chr. wurde eine eigene Schrift entwickelt. Alles, was wir über das Reich Kusch wissen, wissen wir aus ägyptischen oder griechischen Quellen.
 
Für den Einstieg in die Kultur Nubiens ist der Besuch des Nationalmuseums in Khartum unabdingbar. Es wurde in den 70er Jahren erbaut, um die Rettungsgrabungen des Assuanstausees aufzunehmen. Das Museumskonzept stammt von dem DDR-Archäologen Friedrich Hinkel.
 
(Friedrich Hinkel 1925-2007, Archäologe der Humbold-Universität Berlin hat archäologische Stätten des antiken Nubiens ausgegraben, dokumentiert und die Funde im Nationalmuseum Khartum ausgestellt.)

Foto © Johannes Vesper
 
Ein langgestrecktes Wasserbecken im Park der Anlage symbolisiert den Nil. Rechts und links stehen die Tempel von Buhen, Semna und Kumma (alle aus der Zeit der 18. Dynastie (1550-1295 v.Chr.). Sie wurden vor dem Assuan-Stausee gerettet. Durch die Löwenallee geht es in das Hauptgebäude, in dem die Siedlungsgeschichte der Region nachvollzogen werden kann. Um 7000 v. Chr. wurde man im Niltal seßhaft und fertigte Steinwerkzeuge. Von der 1. Phase der Siedlungsgeschichte im Niltal mit seiner A- und C-Kultur (B-Kultur gibt es nicht. Sie ist eine abgelegte Hypothese der Archäologie.) sind Faustkeile und Keramik zu sehen. Fundstücke der Kerma-Kultur, des Reiches Kusch, des napatischen Reiches und aus Meroe sind ausgestellt. Hier stehen die Venus von Meroe, eine füllige, nackte Frau in lockerer Haltung und auch der bedeutendste schwarze Pharao Taharqa als aufrechte Basaltskulptur.
Aus der christlichen Phase Nubiens nach 600 n. Chr. sind im 1. Stock die großen Fresken aus christlichen Kirchen vom Boden des Assuanstausees zu sehen.
 
Meroe – Naga - Musawwarat es Sufra
 
Die asphaltierte Fernstraße nach Meroe ist stark befahren. Zwischen riesigen, oft mit Zement beladenen, bis zu 12-achsigen LKW und den phantasievoll bemalten, stets rasenden und hupenden Fernverkehrsbussen ist das Überleben nicht einfach. Nach 5 ½ Stunden bzw. ca. 230 km glänzen in der Abendsonne endlich die Steinzelte, die berühmten Pyramiden von Meroe. Nachts wölbt sich der gestirnte Himmel gewaltig im klaren Dunkel der Nacht. Eine magere Ziege sucht bei Mondenschein Schutz vor dem leichten, aber kühlen Nachtwind.
 
Um 07.05 Uhr geht nach kurzer Dämmerung heute in Meroe die Sonne auf. Plötzlich erscheint sie über dem Horizont. Minütlich wechseln Licht und Beleuchtung der Steppe vor der zackigen Silhouette der ferneren Pyramiden. Plötzlich galoppieren Dromedar-Reiter in das stille Bild, welches so im 19. Jahrhundert hätte gemalt werden können. Die Pyramiden fallen durch ihre gekappten Spitzen auf, die dem Hobby-Archäologen Giuseppe Ferlini zu verdanken sind. Giuseppe Ferlini, ein italienischer Chirurg in der ägyptischen Armee, kam 1834 nach Meroe um Gold zu suchen. Deswegen kappte er die Spitzen der Pyramiden, zerstörte z.B. die Pyramide Nr. 6 des nördlichen Pyramidenfeldes und fand tatsächlich den Goldschmuck der Königin Amanischacheto. Sein Versuch, den wunderbaren Schmuck später in Europa zu verkaufen, mißlang. Man hielt den Fund für eine Fälschung und den Finder für unseriös. Erst nachdem Karl Richard Lepsius im Rahmen der von Friedrich Wilhelm IV. nach Ägypten und Nubien ausgesandten preußischen Expedition (1842-1846) die Region archäologisch aufgearbeitet und dokumentiert hatte, erkannte man die Bedeutung des Goldschmucks aus Meroe, erwarb ihn für Berlin (und München) und gründete das Ägyptische Museum.
 
(Richard Lepsius (1810-1884), deutscher Ägyptologe, seit 1842 Prof. der Berliner Universität, später Direktor der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Begründer der Ägyptologie.)
 
 
 In der Wüste von Meroe - Foto © Johannes Vesper

Die Pyramiden von Meroe sind kleiner als die älteren ägyptischen und im Gegensatz dazu nicht durchgemauert, sondern enthalten im Kern Schutt, Bau-Ökonomie also schon in der Antike. Im Osten jeder Pyramide schließt sich jeweils ein kleines Grabtempelchen an, an dessen Innenwänden auf zweiteiligen Wandreliefs einerseits der/die Verstorbene, anderseits Opfer, Opfergaben und Opfernde dargestellt sind. Die Waage, mit der die Taten des Verstorbenen am Ende gewogen werden, fehlt nicht, auch nicht die Totenfresserin, die ihn verschlingt. wenn der Verstorbene für das ewige Leben als zu leicht befunden wurde. Durch breite Hüften und kräftige Oberarme, durch eine auffällige Stämmigkeit können die Relieffiguren der alten Meroiter immer eindeutig als Angehörige des weiblichen Geschlechts identifiziert werden. Eine Scheintür aus Stein scheint vom Grabtempelchen in das Innere der Pyramide zu führen. Die Grabkammer ist aber unter der Pyramide angelegt. Ihr Zugang wurde nach der Bestattung verschlossen und dann zugeschüttet. Die 1. Pyramide des nördlichen Friedhoffeldes war die Grabpyramide der mächtigen Kandake Amanitore. Als Kandake wird die meroitische Königmutter bzw. die Regentin unmündiger zukünftiger Könige bezeichnet. Sie verfügt über erhebliche Macht und Einfluß. Dabei ist oft unklar, ob die den König begleitende Kandake seine Gemahlin (also Mutter des Thronfolgers) oder seine eigene Mutter ist. In Meroe war Amanitore, deren Pyramide am Anfang des Gräberfeldes steht, jedenfalls Konkubine des Königs Natakamani, dessen Pyramide sich ganz am anderen Ende des Friedhofes befindet. Rückschlüsse auf die Innigkeit der Beziehung der beiden zu Lebzeiten können aber aus dem Standort ihrer Gräber nicht gezogen werden.
 

Die Pyramiden von Meroe - Foto © Johannes Vesper

Am Nilufer etwa 5 km westlich der Friedhöfe erstreckte sich die königliche Stadt Meroe. Zu sehen ist ein großes Ruinenfeld, in welchem die Reste eines großen Amun-Tempels, der Zitadelle und eines königlichen Bades von Archäologen aus Toronto, Khartum und Berlin freigelegt werden. Hier fand man die Venus von Meroe und auch einen bronzenen Kopf des römischen Kaisers Augustus (Beide als Kopie im Nationalmuseum zu Khartum). Die antike Stadt Meroe war für ca. 600 Jahre (275 v. Chr. bis ca, 300 n Chr.) Hauptstadt des Reiches Kusch. Sie soll ca. 25.000 Einwohner gehabt haben. Ihre wirtschaftliche Grundlage verdankte sie der Gewinnung von Eisen. Tatsächlich sieht man in der Umgebung der Ausgrabungen zahlreiche Schlackenhalden. Vielleicht ist sogar die für die Eisengewinnung notwendige Entwaldung der Region für den Niedergang der Stadt um 300 n. Chr. verantwortlich, deren Eroberung und Zerstörung der äthiopische Herrscher Ezana auf seiner Siegesstele in Aksum/Äthiopien für sich in Anspruch nimmt.

Einige Kilometer auf der Fernstraße zurück in Richtung Khartum liegt Shendi. Während der Funji-Zeit der größte Sklavenmarkt der östlichen Sahara, verlor die Stadt nach dem Aufstieg Khartums in den 20iger Jahren des 19. Jahrhunderts ihre Bedeutung. Heute ist Shendi eine mittelgroße Stadt, in der

Am Brunnen von Naga - Foto © Johannes Vesper
wegen des in der Stadt ansässigen Militärs auf dem lebhaften Markt wie in fast allen sudanesischen Märkten nicht photographiert werden darf. Zwischen großen Schalen mit Bohnen, Zwiebeln und Hirse, mit geschnittenen Okra-Früchten, Erdnüssen und vielem anderen nähen Schneider auf chinesischen Nähmaschinen traditionelle Gewänder für Männer. In anderen Straßen gibt es Damenbekleidung. Alle angebotenen Haushaltswaren und Gartenwerkzeuge aus Blech kommen inzwischen aus China. Die traditionellen Gefäße und Geräte aus Ton, Eisen und Holz werden nur noch zur Zierde hergestellt. Es gibt auffällig viele der dreirädrigen Taxen auf Motorrollerbasis, einige Motorräder und nur wenige Fahrräder. Aufgestellte Tonkrüge (formal Amphoren ohne Henkel), die im unteren Teile außen feucht werden und so durch die Verdunstungswärme das Wasser in den Gefäßen kühl halten, dienen als öffentliche Trinkwasserstellen. Das Wasser in diesen Tongefäßen ist durchaus trüb und voller Schwebestoffe, hindert aber keinen außer uns daran, mit dem angekettetem Blechbecher daraus zu schöpfen und zu trinken.

Durch sandige Steppe auf unbefestigter Piste geht es ca. 35 km zu den Resten der alten Königsstadt Naga, zu römischer Zeit die südwestlichste Ecke des antiken, mediterranen, römischen Kulturraums. Hinter den Geländewagen wirbeln Staubwolken auf. Hohe Geschwindigkeiten sind angesagt, um nicht im Sand stecken zu bleiben. Im 19. Jahrhundert war die Reise nach Naga sehr problematisch. Hermann Fürst Pückler-Muskau hatte Naga bereits im April 1837 besucht. „Tödliche Ermüdung, 35 Grad Hitze im Schatten des Tempels und brennender Kopfschmerz, dazu schwarzes Wasser aus stinkenden Schläuchen und halb verschimmelter Zwieback“ schreibt er in seinem Tagebuch.
Heute ist das Reisen hier im Geländewagen doch komfortabler. Hinter der Polizeistation am Eingang zur archäologischen Zone wird mit der doppelläufigen Eselspumpe aus 80 m Tiefe mit einem Ziegenledersack ständig Wasser gehoben. Zahlreiche Dromedare, Esel, Schafe und Ziegen bedürfen ständig des lebensnotwendigen Wassers.
Die Ausgrabungen in Naga erfolgen unter der Leitung von Dietrich Wildung.
 
(Dietrich Wildung geb. 1940, deutscher Ägyptologie, 1989-2009 Direktor des Ägyptischen Museums Berlin.)
 
Die Ergebnisse dieser Ausgrabungen (seit 1995) waren kürzlich in Berlin und München zu sehen („Königstadt Naga – Grabungen in der Wüste des Sudan“ s.u.).

Tempel mit römischem Kiosk in Naga - Foto © Johannes Vesper
Der kleine Kiosk aus römischer Zeit vor dem bedeutenden Löwentempel ist ein elegantes Bauwerk mit ägyptischem Dekor (der heiligen Kobra= Uräus, der Sonnenscheibe), korinthischen Kapitellen bzw. römischen Rundbogenfenstern. Dahinter erhebt der Löwentempel. Er ist Apedemak, dem heiligen Löwen sozusagen – das ist eine meroitische Erfindung aus dem 3. Jh. v. Chr. – gewidmet. Auf der Fassade sind über die gesamte Höhe des Gebäudes König Natakamani und seine Königin Amanitore mit ihren Gefangenen, die von Löwen gefressen werden, dargestellt. Die mächtige Frau erscheint meroitisch breithüftig und starkarmig allerdings ohne Doppelkinn. Auch im alten Nubien gab es schon bedeutende Frauen. Die seitlichen Eckpfosten der Fassade sind verziert mit Apedemak, der aus einer Lotusblume heraus sich schlangenartig nach oben bis zu seinem göttlichen Löwenkopf windet. Auf den äußeren Seitenwänden sieht man wiederum König und Königin, hier zusammen mit Apedemak und anderen Göttern. Auf der Rückfassade erkennt man König und Königin, wie sie dem in der Mitte stehenden Apedemak Opfer bringen, die dieser wohl aus künstlerischen Gründen der Symmetrie mit jeweils 2 Armen zu den Seiten und drei Gesichtern (nach rechts links und zum Betrachter hin) entgegen nimmt.

Der Amun-Tempel Nagas liegt auf einer Geländeterrasse etwas höher über der ehemaligen Stadt, von der selbst wenig übrig ist. Von hier streift der Blick weit ins Weite. Vor dem Tempel durchschreitet der Besucher eine kurze Allee von liegenden Widdern rechts und links. Dieser Tempel wurde von Natakamani am Ende des 1. Jh. v. Chr. erbaut. Auf seinen teilweise wieder aufgerichteten Säulen und Architraven finden sich zahlreiche Reliefdarstellungen und Malereien der königlichen Familie und ihrer Götter.


Amun-Tempel in Naga mit der Widder-Allee - - Foto © Johannes Vesper

Im Zuge der deutschen Ausgrabung in Naga entstand der Plan eines kleinen Museums daselbst. Seinen Entwurf dazu schenkte der Wiedererbauer des Neuen Museums in Berlin, David Chipperfield, dem Staat Sudan. Sponsoren für dieses Projekt werden gesucht. Ohne Asphaltstraße nach Naga werden aber nur wenige Besucher den Weg in diese Abgeschiedenheit finden.


Lesen Sie morgen den zweiten und übermorgen den dritten Teil
von Johannes Vespers Reisebericht aus dem Sudan.
 
Redaktion: Frank Becker