Unkritischer Blick zurück in die Kolonialgeschichte

Alex Capus - "Eine Frage der Zeit"

von Hermann Schulz
Ein dunkles Kapitel

Ein seltenes Ereignis, wenn ein Stück deutscher Kolonialgeschichte Eingang in die Romanliteratur findet. Seit Uwe Timms „Morenga“ und zwei-drei weiteren zu Namibia ist kaum etwas erschienen. Der Markt zeigt wenig Interesse, die ehemaligen Kolonien wurden vergessen, verdrängt oder von ewig Gestrigen heroisiert. Nur zögernd erschienen Sachbücher, z.B. beim Chr. Links Verlag eine Reihe hervorragender Titel, u.a. über das Leben des fragwürdigen Vorzeigehelden Lettow-Vorbeck im 1. Weltkrieg in Tanganjika.

Der schweizer Autor Alex Capus (Jahrgang 1961) legt in diesem Herbst einen Roman vor, der die Geschichte des Schiffes „Götzen“ erzählt. In seine Einzelteile zerlegt und in einige hundert Kisten verpackt, wird das Schiff 1913 von Papenburg nach Daressalam verfrachtet und von dort aus mit dem Zug nach Kigoma an den Tanganjikasee. Mit diesem Schiff will der Kaiser seinen Machtanspruch kräftig unterstreichen. Mit von der Partie sind drei ehrbare Schiffbauer, die sich in Kigoma an die Arbeit machen; mit Anton Rüter als Schiffsbaumeister. 

Nur wenig später, der 1. Weltkrieg hat begonnen, beauftragt Winston Churchill den grantigen Oberleutnant Geoffrey Spicer Simson, in geheimer Mission zwei Kanonenboote durch halb Afrika an den Tanganjikasee zu schleppen, um die Deutschen im Zaum zu halten und die unbedeutende „Wissmann“ zu versenken – nicht wissend, dass bald die große „Götzen“ den See beherrschen könnte. Als der Krieg in Europa ausbricht, stehen sich die Gegner auch am Tanganjikasee gegenüber. Die „Götzen“ kommt nicht mehr zum Einsatz, die Deutschen können Kigoma nicht halten, und so versenkt Anton Rüter, der den geliebten Arbeitsrock gegen die Uniform tauschen mußte, die „Götzen“, um sie vielleicht eines Tages wieder heben zu können. (Später wurde sie von den Engländern gehoben und tut bis heute auf dem See gute Fährdienste für Tansania.)

„Eine Frage der Zeit“ ist ein spannender Abenteuerroman; die historischen und technischen Hintergründe sind gut recherchiert und vor allem junge Leser bekommen einen Eindruck von der Mentalität und den Allmachtsträumen jener Zeit.

Es bleibt, und das nicht wegen einiger Fehler (konnte der deutsche Gouverneur Heinrich Schnee tatsächlich mit einem Pferdegespann durch Daressalam fahren?), nach der Lektüre ein schaler Geschmack. Afrikaner werden durchweg als „Neger“ bezeichnet, was den Rezensenten befremdet. Die soziale Wirklichkeit der Kolonisierten kommt nur am Rande vor, wenn z.B. der Gouverneurs Schnee es herzlich bedauert, auch weibliche Sträflinge („Negerinnen“) in Ketten legen zu müssen. Schwarze Frauen kochen für die drei weißen Schiffsbauer, wie selbstverständlich verschwinden sie zur Nacht abwechselnd in den Unterkünften der drei aus Papenburg (dabei sind die Männer scharf auf die weiße Frau des Gouverneurs!). Der stolze Massai-Prinz erträgt ohne zu klagen die Schläge der Nilpferdpeitsche. So reiht sich ein bekanntes Klischee an das andere. Hier findet ein Rückfall in finstere Literaturzeiten statt; selbst Joseph Conrad oder Tania Blixen  haben die Afrikaner nicht derart zu Statisten des europäischen Dramas degradiert.

Die Idee, über die „Götzen“ und ihre Geschichte ein Buch zu schreiben, ist nicht schlecht (wenn auch kein Stoff für Werner Herzog). Die Ausführung allerdings bedient sich jener Afrikabilder, die wir längst überwunden glaubten. Man mag einwenden, daß damals tatsächlich die „Neger“ nur Statisten waren (was ich so nicht sehen kann!) und als „Neger“ behandelt wurden. Welchen Sinn macht es aber, wenn wir uns unkritisch die verzerrten Wahrnehmungen jener Zeit, garniert mit ein paar Blicken auf arme Sträflingsfrauen und Prügelstrafe, zu eigen machen? Warum dann überhaupt geschichtliche Rückblicke, wenn nicht entweder eine neue (böse oder versöhnliche) Sicht der Ereignisse angeboten wird? Uwe Timm hat doch gezeigt, daß es möglich ist!

Hermann Schulz, geboren 1938 in Ostafrika, war bis 2001 Verlagsleiter und lebt heute als Autor in Wuppertal. Zuletzt erschienen: „Der silberne Jaguar“ (Roman, Carlsen-Verlag 2007)
 

Beispielbild

Alex Capus
Eine Frage der Zeit

Roman

© 2007 Albert Knaus Verlag

304 Seiten, gebunden, Karten im Vor- und Nachsatz
19,95 €

Weitere Informationen unter:
www.randomhouse.de

Zum Buch gibt es auch eine CD.