Der Poet

Wolfgang Schlüter Quartet & NDR Bigband - Visionen

von Frank Becker

Cover: Patrick Hespeler Pagels
Schwelgerisch

Wolfgang Schlüter Quartet
& NDR Bigband
Visionen



Was Wolfgang Schlüter samt Quartett und mit der NDR Bigband als phantastischem Klankörper im Rücken schon beim Auftakt zum ersten von acht groß angelegten, feinfühlig arrangierten Titeln der brandneuen CD „Visionen“ verspricht – hält der Magier der Klöppel von da an für gute 74 traumhafte Minuten ein. In fast genau einem Jahr wird der Ausnahme-Jazzmusiker, dessen Vibraphon-Spiel alle die ihm folgten, beeinflußt hat, 80 Jahre alt. Sein Anschlag, seine Poesie, seine Technik, der Ideenreichtum und die Virtuosität seiner Performance lassen einen jungen, dynamischen Musiker hören, der aber auch schon über die Erfahrung und Abgeklärtheit fortgeschrittenen Lebens verfügt.
Begleitet von drei hervorragenden Sidemen und der brillanten NDR Bigband unter der bewährten Leitung von Jörg Achim Keller legt Wolfgang Schlüter ein Album vor, das man unmöglich als „Alterswerk“ bezeichnen kann. In sechs eigene Kompositionen hat er Ray Nobles „Cherokee“ und Charlie Parkers „Donna Lee“ eingebettet, Keller und Wolf Kerschek haben die Stücke kongenial eingerichtet. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß dieses Team aus brillantem Material ein musikalisches Gesamtkunstwerk gemacht hat.
 
„Visionen“ hat Schlüter das Album zwar nach dem achten und letzten Stück genannt, ich erlaube mir jedoch die Anmerkung, daß er vielleicht zu bescheiden war, es nach dem vierten Titel zu benennen, der auch ihn beschrieben hätte: „Poet“. Diese sanfte Nummer mit geradezu verzauberten Bläsersätzen geht ins Ohr wie der Klang himmlischer Schalmeien und sanft unter die Haut. Die Cherokee-Version mit dem großen Solo-Auftritt von Kai Bussenius und köstlichen Vibraphon-Passagen stellt auch ein hervorragendes Trompeten-Solo vor, das von Reiner Winterschladen, möglicherweise von Ingolf Burkhardt stammt – der CD-Text verrät es nicht. Hier wirbelt Schlüter in unerhörter Konzentration, worauf er beim folgenden „Ballad for Lüngi“ wieder träumend das Instrument nur zu behauchen scheint – immer die Bigband in Bestform an seiner Seite. Das Titel-Stück zum Schluß unterstreicht noch einmal den Poeten in Wolfgang Schlüter vor der herrlichen Kulisse der Bläser der NDR Bigband mit Dan Gottshall an der Posaune und dem feinfühlig gestreichelten Kontrabaß von Philipp Steen. Das hat in der Redaktion gute Stimmung verbreitet und läuft hier gewiß nicht zum letzten Mal. Eines der schönsten Jazz-Alben dieses an Neuerscheinungen nicht armen Jahres, schwelgerisch und perfekt. Es bekommt unsere Empfehlung und unsere Auszeichnung, den Musenkuß.


Wolfgang Schlüter Quartet:

Wolfgang Schlüter (Vibraphon) - Boris Netsvetaev (Klavier)  - Philipp Steen (Kontrabaß)  - Kai Bussenius (Schlagzeug)
NDR Bigband:
Jörg Achim Keller (Arrangement, Leitung) - Wolf Kerschek (Arrangement) weitere Produktionen dern NDR Bigband
 
© 2012 Skip Records/ NDR Hamburg
 
Titel:
1. Albert – 2. Alhama (Recuerdos de Alhama) – 3. Crazy Little Family – 4. Der Poet – 5. Cherokee (Bigband Version) – 6. Ballad for Lüngi – 7. Donna Lee – 8. Visionen
Gesamtspielzeit: 1:14:35
 
Weitere Informationen: www.skiprecords.com