Das Lob der Backwaren-Fachverkäuferin und andere Lebenslust

Harry Rowohlt liest und plaudert

von Frank Becker

Harry Rowohlt - Foto © Martin Kunze
Das Lob der Backwaren-Fachverkäuferin
und andere Lebenslust
 
Harry Rowohlt liest
(und verkauft) emsig Bücher
 
 
Man hätte ausverkauftes Haus erwartet, denn wenn Harry Rowohlt aus seinen Übersetzungen, Kolumnen, sowie eigenen und fremden Werken liest, ist man das so gewöhnt. Das verwöhnte Volk strömt in Scharen. Es gibt ja auch kaum einen Besseren. Am vergangenen Donnerstagabend in der Remscheider Klosterkirche blieben allerdings viele Plätze frei. „Selber schuld!“ möchte man den Ferngebliebenen höhnisch zurufen, denn der Hamburger Lesebarde, Träger der goldenen Nadel des FC St. Pauli*), zeigte sich in Bestform. Mit vielen Stimmen, diversen Akzenten, einigen Dialekten und ganzem Einsatz unterhielt sein höchst amüsiertes Publikum. Das kam diesmal mit drei ganzen und einer Viertelstunde beinahe glimpflich davon, denn Herr Rowohlt liest auch schon mal gerne vier oder fünf Stunden. Da bekommt man was für sein Geld, schließlich wird für die Über-Stunden kein zusätzliches Eintrittsgeld erhoben.
 
Das fließt und plätschert so angenehm, nimmt den Zuhörer mit wie der Fluß das Büblein, das überall hat mitgenommen sein wollen und läßt völlig die Zeit vergessen. Drei Stunden Rowohlt vergehen wie im Fluge, sind sie doch ohne einen Hauch von Langeweile geradezu wimmelnd von Literatur und Witz. Apropos Witz: er ist nicht nur ein genialer Übersetzer aus dem Amerikanischen und Irischen, als Witzeerzähler und Hymnensänger (a cappella) weiß er sich ebenso zu verkaufen. Apropos verkaufen: selten auch findet man einen so dringend seine Werke bewerbenden Künstler – das zieht sich als beständiger Faden ein wenig zu aufdringlich durch das ganze, von köstlichen Anekdoten, dem Lob der reschen Backwaren-Fachverkäuferin, Erzählungen über interessante Begegnungen mit interessanten Leuten und herrlichen Literaturen strotzende Programm.
 
Das freundliche Gesicht würdig umrahmt von einem mächtigen, höchst gepflegten Bart, das Haupthaar den Forderungen des Alters entsprechend ordentlich gestutzt, die klugen Augen hinter der großen Nickelbrille, das von vielen Gallonen Whiskey und nicht gezählten Fässern Smithwicks, Kilkenny & Co. geformte sonore Organ geschmiert wie einst (seit dem 26.7.2007 trinkt er nicht mehr) plaudert er los, wettert, lässt seine humanistische Bildung heraushängen, zieht Max Dauthendey als Zeugen dafür hinzu, beklagt, daß außer ihm den Dichter mehr kenne und belehrt gelegentlich über etymologische Um- und Zustände – auch das unterhaltsam. Harry Rowohlt zeigt sich dabei als Abschweifer vom Allerfeinsten, der nach enormen Haken stets artig zurück in seine Lesung findet. Vieler guter Freunde rühmt er sich und nennt gerne und nicht ohne einen gewissen Besitzerstolz die Namen. Einen zitiert er sogar, nämlich Fritz Eckenga, dessen Küchenmoritat Der Wein war ein Gedicht“ihm recht gut gelingt. Ob er womöglich eitel ist? Nein, nein, eitel ist Harry Rowohlt gewiß nicht. Also wirklich nicht. Überhaupt nicht. Gar nicht. Also, nee… - echt nicht. Wer käme denn auf eine so absurde Idee!
 
Wenn er die von ihm ins Deutsche übertragenen Mr. Gum-Texte, Z.B. aus „Sie sind ein schlechter Mensch, Mr. Gum“ (er zöge ja vor, den Bösewicht aus den Geschichten von Andy Stanton mit „Herr Gum“ zu übersetzen, aber da sperrt sich der Verlag), Gedichte von Shel Silverstein in Original und Nachdichtung, Auszüge aus Kurt Vonneguts Werk oder seine Kolumnen aus „Pooh´s Corner“ liest, über die Schwierigkeiten des lippensynchronen Übersetzens von Film-Drehbüchern plaudert, über den popelnden Fußball-Bundestrainer, über den in seiner Schauspielerehre beleidigten Ralf Wolter oder wenn er jiddische und köstlich blasphemische katholische Witze erzählt – man hängt voller Begeisterung an seinen Lippen, die man, notabene, des mächtigen Bartes wegen kaum sieht. Nicht grundlos läßt man ihn seine Bücher selber für CD-Aufnahmen lesen - könnte ihm da keiner das Wasser reichen. Daß er damit so richtig Leseappetit auf die nämlichen Werke macht, liegt sicher mit im Kalkül. Als maßgeblichem Übersetzer von Flann O´Brien und Irland-Kenner (s.o.: Whiskey, Kilkenny und Smitwicks) ist dann auch dem abstinenten Mann erlaubt, die irische Faustregel zu zitieren: „Betrunken ist man, wenn man nicht mehr ohne fremde Hilfe auf dem Rücken liegen kann“.
Besonders witzig wird es, wenn eine vermutlich im Schuldienst stehende, anglistisch oder vielleicht sogar amerikanistisch gebildete Dame aus dem Publikum gegen seine Übersetzung von „Clam“ mit „Auster“ opponiert. Das grenzt an linguistischen Selbstmord, denn Harry Rowohlt hat immerhin in München Amerikanistik studiert – drei volle Stunden! Und daher Bildungs-Munition genug, einen solch leichtsinnigen Angriff mit sprachlichen Breitseiten abzuwehren.
 
Mit der grandiosen Lesung der aberwitzigen Geschichte „Knolls Katzen“ von Jan Neumann, der dafür mit allem Recht den Förderpreis des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor bekam, als „unverlangte Zugabe“, brachte Rowohlt seine Zuhörer schließlich an den Rand der Lacherschöpfung, erhob sich, nahm den Applaus entgegen und eilte von der Bühne an den Büchertisch – schließlich waren einige der herbeigeschleppten Bücher noch nicht verkauft. Ein kurzweiliger Abend.
 
 
*) Die bekam er für die Bemerkung: „HSV? H-S-V? Ist das nicht dieser Tennisverein mit Fußball-Abteilung?“
 
Weitere Informationen: www.keinundaber.ch  -  www.sauerlaender.de  -   www.harryrowohlt.com