Spannung mit Längen

Julie Hastrup - „Blut für Blut“

von Frank Becker
Spannung mit Längen
 

Den „normalen Mörder“ im klassischen Sinne von Agatha Christie, Georges Simenon oder Harry Kemelman gibt es schon lange nicht mehr. Wo früher in der Kriminalliteratur ein Kommissar, vielleicht noch von einem Assistenten unterstützt, einen Fall bearbeitete oder ein Detektiv sich auf die Spur einer Giftmörderin setzte, werden heute große spezialisierte Ermittlerteams und Psychologen tätig, weil es gilt, immer perversere Serientäter zu überführen bzw. zu stoppen. Das ist wohl auch der Zeit geschuldet, die unentwegt nach immer größeren Superlativen schreit, leider auch im literarischen Verbrechen.

Rebekka Holm, die wir jüngst als Ermittlerin in ihrer Heimatstadt Ringkøbing kennengelernt haben, ist nach Kopenhagen zurückgekehrt und hat sich zur Mordkommission versetzen lassen. In der dänischen Hauptstadt will sie künftig Verbrechen aufklären und Mörder überführen – und gerät sogleich an einen besonders blutigen Fall, bei dem eine angesehene Sozialarbeiterin auf grausame Art umgebracht wurde. Sie wird deshalb von einer Sonderkommission abgezogen, die sich mit einer Reihe unaufgeklärter und in immer schnellerer Folge begangenen brutaler Vergewaltigungen befaßt, die sich zur gleichen Zeit ereignet.

Der geneigte Leser ahnt schon: hier wird es bald eine Verbindung geben. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Reza Aghajan und einer umfangreichen Mordkommission dröselt sie diesen von den Medien aufmerksam beobachteten Fall akribisch auf. Julie Hastrup entwickelt, zunächst ziemlich verwirrend, eine Vielzahl von Handlungssträngen, die vom Umfeld des Mordes aus in teils ganz eigene Fälle münden, welche eigene Romane hätten hergeben können. So decken die Kopenhagener Ermittler den erschütternden Fall einer Serie durch muslimische Familien begangener sogenannter „Ehrenmorde“ an in dänische Frauenhäuser geflohenen mißhandelten Frauen auf. Die Frauen wurden von einer anderen muslimischen Frau verraten, die sich dafür bezahlen ließ, sich als angeblich Geschädigte in Frauenhäuser einzuschleichen und die Opfer auszuspionieren. Julie Hastrup nennt dabei Dinge beim Namen, die sich unter dem Druck einer angeblich „politisch korrekten“ Klientel (nicht nur in Dänemark) und mit Kotau vor einer aggressiven moslemischen Minderheit kaum noch jemand zu sagen wagt.
 
Aber zurück zum Mord an Kissi Schack, so der Name des prominenten Opfers. Bald zeigen sich viele Ermittlungsansätze, finden sich einige Verdächtige und auch ein abgehalfterter Journalist, der genau zu wissen glaubt, wer der Mörder ist und wie der Mord und die Vergewaltigungsserie zusammenpassen. Was sich zu Beginn zäh anläßt, auch durch Rückblenden ins Jahr 1988, gewinnt bald an Fahrt, wobei sich Julie Hastrup allzu oft in weitschweifigen, handlungsirrelevanten Umfeld- und Stimmungsbeschreibungen und zu ausführlichen Dialogen verliert. Will sagen: der Roman wäre bei einem merkbar geringeren Umfang sicher noch ein wenig spannender geworden. Doch die Spannung nimmt den Leser dennoch gefangen, man teilt die Begierde der Ermittler, den Fall zu klären, um weitere Taten zu verhindern. Daß Julie Hastrup gegen Ende noch eine brutale Gewalttat, eigentlich völlig unmotiviert und für die Handlung des Romans eigentlich verzichtbar, draufsetzt, gibt einen faden Beigeschmack. Das hätt´s nicht gebraucht. Auch die detaillierte Beschreibung der vorsätzlichen wie der unbeabsichtigten Verstümmelung des Mordopfers zu Beginn wäre verzichtbar gewesen. Weniger ist auch im Krimi sehr oft mehr.
 
Julie Hastrup - „Blut für Blut“
aus dem Dänischen von Hanne Hammer.
© 2012 Piper TB 30114, 445 Seiten, Broschur, 9,95 Euro
 
Weitere Informationen:  www.piper.de  und  www.juliehastrup.dk