Stadt, Fluß, Bauland - Wozu noch Architekten?

Norddeutsche Notizen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Arne Weychardt
Stadt, Fluß, Bauland -
Wozu noch Architekten?
 
Norddeutsche Notizen

Von Andreas Greve
 
Stadt
 
Wenig dominiert unser alltägliches Leben so stark wie die gebaute Umwelt. Im Guten wie im Schlechten. Nun ist die Diskussion über miserables Bauen in unseren Städten eben dort, also in der Mitte der Gesellschaft angekommen und mischt sich mit der bangen Frage „Macht Wohnen arm?“ Vor einem Jahr wurde das häßliche Thema durch Hanno Rauterberg in der „Zeit“ angestoßen, lief - die Musenblätter lagen mit Kann denn Bauen Sünde sein? flott gleichauf - durch den „Spiegel“, SZ und die FAZ und fand sogar ins Hamburger Abendblatt. Die Sache hat, auch Dank solcher Desaster-Baustellen wie dem Willy-Brandschutz-Flughafen, der Elbphilharmonie und Stuttgart 21, durch Gentrifizierung und haushohen Mieten in vielen Großstädten nun auch Einzug in die Talkshows gehalten - wie jüngst bei Maybritt Illner. Architekten, Investoren – und ihre Opfer.

Hamburg ist für Architekturkritik ein idealer Topos, gibt es hier einerseits noch viel Porzellan zu zerschlagen und wird hier andrerseits im engeren Stadtgebiet wie nicht gescheit geneubaut. Der unvollendeten Elbphilharmonie ist es sogar trotz Baustop gelungen, die schöne, scherenschnittartige Stadtsilhouette aus Hauptkirchen und Rathausturm plump zu versiegeln: Von der Alster aus gesehen sitzt der gewaltige Rauchglaskörper des kostspieligen Konzerthauses wie eine gestrandete Kogge auf dem Rathausdach.
Bei Themen, die auf den Nägeln brennen oder bald brennen werden, liegt in Hamburg das „KultwerkWest“ stets ziemlich weit vorn. Diese bewundernswerte Instituition, die sich selbst als „öffentliches Wohnzimmer“ versteht, hat offenbar einen Vorrat an hochwertigen Telefonnummern und verfügt über einen so effektiven Verteiler, ddaß zu den jeweiligen Themen nicht irgendwer, sondern der Chef persönlich kommt, um in den Polstermöbeln, einen Steinwurf von der Reeperbahn, Rede und Antwort zu geben. Das Publikum ist nicht selten ebenso vom Fache. Schon die Einladung faßt die Stichworte forsch zusammen. In diesem Falle: „… das scheußliche Stadtbild /. Hamburg verspiele seine Baukultur / HafenCity = „Würfelhusten“. / „Kultursenatorin Barbara Kisseler bat 2011, sich mehr Gedanken über Hamburgs Stadtbild zu machen. Das tun Oberbaudirektor Jörn Walter – ursächlich für Hamburgs Stadtbild verantwortlich –, der Autor Till Briegleb, der für die Süddeutsche Zeitung schreibt, und der Architekt Prof. Volkwin Marg. Wo bleibt das historische Stadtbild? Wo liegen Fehler und Erfolge in Hamburgs Architektur und Stadtplanung?“ Der reinste Zunder also. Wer möchte da nicht dabei sein! Das wollten an jenem Abend im März so viele, daß nur ein Bruchteil Einlaß in die schlauchige Höhle der Diskutanten fanden.


Foto © Christian Pohl / pixelio.de

Zu einer anderen Veranstaltung an anderem Orte, aber mit dem selben Thema, „Stadtbild“ eben, kamen, wie ich hörte, an einem ganz normalen Abend über 400 interessierte Hamburger in die Freie Akademie der Künste bei den Deichtorhallen.
Auch zur „Neuen Mitte Altona“ ließ Kultwerk-Veranstalterin Sigrid Berenberg die erste Garnitur antanzen. Auch diesmal dabei: Oberbaudirektor Jörn Walter, der mittlerweile einen Großteil seiner Arbeitszeit in Podiumsdiskussionen, in Foren und Verhören durch Betroffen verbringt und dennoch geduldig Rede und Antwort steht.
An einem weiteren Abend im KultwerkWest, ein paar Monate später, wurden kleinere, aber überaus wichtige Brötchen gebacken: Die Wohnung. Auf dem Podium u.a. ein Hamburger Baulöwe jr. und ein großer Projektentwickler. Es ging um, Zitat: „Hamburg fehlen Wohnungen. Die breit geäußerte Forderung lautet: mehr als 30 Prozent der Neubauten als preiswerter Mietraum. Braucht Hamburg im Wohnungsbau nicht dringend eine zukunftsgerichtete, innovative Gestaltung der neuen Wohnquartiere? Kultwerks Stichworte dazu: Nutzer-Mix, soziale Mischung, variable Grundrisse und kritischer Blick auf "Halbgott" Wärmedämmverbundfassade.“ Das ganze übrigens eingebunden in einen Vortrag über Altonas vorzüglichen Stadtplaner und Baumeister bis 1933, Gustav Oelsner, der bei weitem nicht so bekannt ist wie der etwa gleichzeitige Hamburger Oberbaudirektor Emil Schumacher. Beide wurden von den Nazis abserviert.
In der Tat stellt sich heute die Frage, ob eine Metropole es sich leisten kann, 60, 70 oder gar 90 Quadratmeter als Wohnfläche für Einpersonenhaushalte zu vergeuden. Obendrein für einen Personenkreis, deren Lebensmittelpunkt weniger die Wohnung als Arbeit und öffentlicher Raum wie Cafés und Restaurants ist. Wie kann sich eine Stadt mehr Platz in der Stadt schaffen und ohne daß die Minderbetuchten nach draußen in bezahlbarere Randlagen gedrängt werden? Gerade in einem Stadtstaat - umgeben von den Bundesländer Niedersachsen und Schleswig Holstein - sind die Flächen endlich. Zumal Hamburgs nicht geringer Stolz große Forste innerhalb seiner Grenzen sind. Und die zahlreichen schönen Parks. Und die vielen Gewässer. Dazu noch die Hafenkulisse – die sich allerdings rapide verändert.
 
Fluß
 
Größe und Art des heutigen Seeverkehrs machen viele alte Hafenbecken und kleinteilige Logistikstrukturen im östlichen Teil überflüssig und brauchen andrerseits flußabwärts, Richtung Westen, gigantische Flächen für die Monokultur „Container“. Daher hat Hamburg nun - wie London schon lange - seine „Docklands“, d.h. Industrie und Gewerbeflächen, die zu bevorzugten Wohnlagen gewandelt werden. Sie liegen u.a. im Süd-Osten. Dabei muß Hamburg, genauer: die Hamburger jedoch eine beträchliche psychologische Hürde überwinden, nämlich die Vorstellung, daß es lebenswertes Leben, Handel, Wandel und Kultur nur am nördlichen Ufer der Elbe gibt. Daß die Hansestadt nicht an den alten Elbbrücken endet. Dafür wirkt und wirbt derzeit die IBA, für den „Sprung über die Elbe“.
Gewissermaßen als Gegengewicht zu allem Hader und Hickhack um Häuser und Quartiere im Stadtgebiet nördlich der Elbe und des Hafens geht man Fragen zu Entwurf, Planung und Umsetzung im IBA-Gebiet Wilhelmsburg sehr praktisch nach. Und das seit sechs, sieben Projekt-Jahren. Die Internationale Bauausstellung IBA hat die größte Flußinsel Europas zu ihrem Experimentierfeld gemacht. Ein riesiger Bunker, der den Bomben im Krieg und den Versuchen, ihn hernach zu sprengen, getrotzt hat wird zum Energiewandler mit Fernblick umgerüstet. Ganze Straßenzüge werden aufgewertet und wärmeisoliert ohne markante Mietsteigerungen. Anderswo werden Passivhäuser, Bioffassaden aus sich zersetzenden Algen oder Häuser ausschließlich aus Holz lebensgroß und lebensecht errichtet und getestet. Man baut im Wasser, am Wasser oder mit Wasser: Das alte Kanalsystem wird reaktiviert und irgendwann soll man – theoretisch – von dem allein auf grüner Flur stehenden Rathaus Wilhelmsburg (korrekt: das Ortsamt) mit der Barkasse bis zum Hamburger Bürgermeister tuckern können. Ein bislang zollausländisches Becken des Freihafens wird wieder für alle zugänglich gemacht. Dazu ein deutsch-türkisches Altenheim; ein multi-ethnischer, solarüberdachter Gewerbehof, Schulen, Bildungseinrichtungen, Freizeitparks und und und.
Und um zu zeigen, daß der 1962 schwer sturmflutgerammte und völlig abgesoffene Feld- und Wiesenstadtteil Wilhelmsburg mit seinen vielen Behelfsheimen nun als vollwertig und zukunftsträchtig angesehen wird, baut hier sogar die Baubehörde höchstselbst, sprich, die 1.400 Mitarbeiter zählende Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, BSU, bekommt direkt am Bahnhof einen imposanten Komplex aus bunten Rotunden, entworfen von Berliner Architekten. Und als Lockmittel für erlebnishungrige Radler, für bauinteressierte Hamburger, für Neugierige aller Art, aber auch für die Bewohner der Flußinsel wurde eine Hafenverbindung, die der Fähre 73 ab Landungsbrücken, bis Wilhelmsburg verlängert, sodaß man nun in einer Viertelstunde beschaulich und schaukelnd dort sein kann. „Komm rüber“ lautet der IBA-Slogan.
Nicht jeder möchte das. Man sollte darauf gefaßt sein, daß dort viel mehr zu sehen ist, als so mancher glaubt - aber auch weniger, als einige möglicherweise erwarten. Es ist, ganz ehrlich gesagt, viel Luft zwischen den einzelnen Projekten. Man sollte nicht Manhattan oder dergleichen erwarten. Auch nicht die Bronx – trotz der Bela-Block-Kulisse Kirchdorf Süd, problembelastete Trabantenstadt jenseits von Bahn und Autobahn. Überhaupt der Durchgangsverkehr: Jahrzehntelang war Wilhelmsburg vor allem für niedere Dienstleistungen gut: Schwerverkehre, Autobahnkreuze, Mülldeponie. 55.000 Menschen auf immerhin 35 Quadratkilometern. Hier konnten, bildlich gesprochen, sogar die Kühe schon mal Atemprobleme bekommen.
 
Bauland
 
Auch hier ist der Oberbaudirektor vor Ort gefragt. Auch der Erste Bürgermeister der Hansestadt kommt mehr als einmal vorbei, denn die Bürger sind auch hier auf der Hut und traditionell willensgebildet. Sie hatten sich schon immer zu Wort gemeldet, bevor sie überhaupt gefragt wurden – aber jetzt bindet man alle ausdrücklich ein. Das IBA-Forum im November hatte genau dieses Thema: „Zivilgesellschaft“, das aktuelle Stichwort für Beteiligungsprozesse am Bau- und Planungsgeschehen. Das das in Zukunft zunehmen wird, sieht man nicht nur daran, daß Olaf Scholz sehr klar alle meint, wenn er dort von allen spricht - und die IBA tut das sowieso - sondern man bemerkt es auch daran, daß sich in diesen Beteiligungs-Strukturen Firmen etablieren, die Fragenstellen als Handwerkszeug und Demokratie als Geschäftsidee haben. Offenbar müssen alle Beteiligten das miteinander Reden erstmal lernen. So heißen im 350-Seiten schweren Wälzer „Metropole: Zivilgesellschaft“ die Beiträge etwa „All hands on deck!“ (Heinrich Mäding)„Von Bürgern und Initiativen“ (Gerd Kähler), „Großes Beteiligungsrauschen (Daniel Luchterhandt) oder „Planung im öffentlichen Interesse?“ von der Darmstädter Soziologieprofessorin Martina Löw, die auch den Vortrag zu diesem IBA-Forum hielt. Sie sagte u.a.: „Die Beteiligung von Bürgern und Bürgerinnen an Planungsprozessen sollte in demokratisch verfaßten Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit sein. Allerdings müssen die Formen weiterentwickelt werden. Nicht immer ist der runde Tisch die beste Wahl. Neue Medien und Umfragen können manchmal die Beteiligung von vielen besser gewährleisten." Auch das „Planungssubjekt“ hätte sich markant verändert. Und sie schloß mit der tröstenden Feststellung, daß „mit der Verunsicherung der Planer ein guter Anfang“ auf diesem Weg geleistet wäre.
 
IBA-Präsentationsjahr 2013
 
Aber auch handfeste Sightseeing-Tipps werden von der IBA zu schnieken Büchern gemacht: „Wege zur neuen Stadt“ – fast schon ein Reiseführer für Hamburger für Exkursionen in ihren unbekannten Stadtteil Wilhelmsburg. Für Eilige stehen gleich am Bahnhof, gegenüber der erwähnten bunten BSU-Behörde, etliche Häuser unter dem Thema „Die Bauausstellung in der Bauausstellung“ versammelt und gleich im ersten – und dem mit Abstand häßlichsten – ein Überblick über die Visionen draußen. Hier wagen Architekten endlich mal was. Wie etwa ein fünfgeschossiges Haus ausschließlich aus Holz oder Wohnungen, die man selber fertigbauen muß. Es wird energisch und energetisch experimentiert und es wird hin und wieder leidenschaftlich gestaltet. Immer noch eckig und kubisch, aber sehr anregend.
Sollte sich jemand, von diesem Artikel angelockt, nächstes Jahr auf einmal statt auf der IBA in der „igs“ wiederfinden, hat das seine Richtigkeit, weil die „Internationale Gartenbauaustellung“ dort zeitgleich läuft. Aber das Faß wollte ich nicht auch noch aufmachen, sondern stattdessen mit einer weiteren Buchempfehlung schließen bzw. zur Anfangsfrage zurückkommen. Überspitzt gesagt:
 
Brauchen wir noch Architekten?
 
Diese provokative - oder auch naheliegende – Frage stellt der Architekturkritiker und Autor Holger Reiners in seinem neuesten Buch gleichen Titels. Seiner Meinung nach wird das Unbehagen an gesichtsloser, moderner Architektur solange anhalten, „wie die Architekten der Öffentlichkeit
geradezu trotzig einen inhaltslosen Minimalismus vorsetzten“ und fährt, den Finger munter weiter in der Wunde, fort …“Durch die allgegenwärtige Perpetuierung eines immer gleichen Vokabulars hat die Architektur das Sprechen verlernt – und wer nicht deutlich spricht, dem hört auch niemand zu.“ (Diese Psychologisierung von Baukörper und Wahrnehmungsorganen hat vielleicht seinen Grund darin, daß Reiners nicht nur etliche Fachbücher über Häuser, sondern auch zwei über seine zwanzigjährige Depression geschrieben hat. Aber das erhöht nur die Bildlichkeit und damit das Verständnis der Wirkung gebauter Umwelt.)
Reiners wirft seinen Kollegen und Bauherren vor, daß wer allein Kosten minimiert und Gewinne maximiert, die nachhaltige Wirkung von Architektur nicht einmal im Ansatz begriffen habe. „Die Öffentlichkeit dagegen sehnt sich nach einer Architektenschaft…, die nicht immer wieder nur im Notwendigen stecken bleibt, sondern Bilder für die Seele baut“! Gut gebrüllt, Baulöwe. Der Kritiker ist übrigens treibende Kraft hinter der Reiners-Stiftung, die alle zwei Jahre einen europäischen Architekturpreis vergibt und deren Anliegen es sei,
„das Bewußtsein für Architektur als „gebaute Musik“ in der breiten Öffentlichkeit zu schärfen. Architektur ist keine Mode-Erscheinung, sondern „eine Predigt in Stein“ (Shakespeare), mit lang andauernder Wirkung. Entsprechend groß ist die Verantwortung der Architekten, aber ebenso auch die der Auftraggeber.“ Möge er gehört und gelesen werden!
Natürlich gibt es mehr und andere Probleme und Aufgabenfelder als die Architektur. Kulturell, gesellschaftlich, philosophisch. Welche das sind oder werden, darüber kann man sich jede Woche auf, wie ich finde, sehr bequeme Weise in den Sitzgarnituren im Kultwerkwest einen Eindruck verschaffen. Sicher auch im Jahr 20013 – in diesem Sinne die besten Wünsche für Weihnachten und einen entspannten Jahreswechsel!

Redaktion: Frank Becker