Vom Vorzug, keinen Plan zu haben

Leonce und Lena. Lustspiel von Georg Büchner.

von Martin Hagemeyer

Sophie Basse, Marco Wohlwend - Foto © Uwe Stratmann

Vom Vorzug, keinen Plan zu haben
 
Leonce und Lena. Lustspiel von Georg Büchner.
 
Inszenierung: Marcus Lobbes - Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert - Dramaturgie: Oliver Held -  Licht: Henning Priemer – Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: König Peter vom Reiche Popo: Marco Wohlwend - Prinz Leonce, sein Sohn: Jakob Walser - Prinzessin Lena vom Reiche Pipi: Hanna Werth - Valerio: Thomas Braus - Die Gouvernante: Sophie Basse - Der Präsident des Staatsrats: Jochen Langner
 
Die Sinnlosigkeit des Daseins
 
Den Narren schreckt’s am wenigsten, wenn sich die Welt verrückt. Georg Büchner hat mit seinem Stück „Leonce und Lena“ aus dem Nichtstun ein Lustspiel gemacht; und zur neuen Inszenierung bei den Wuppertaler Bühnen könnte man vielleicht sagen: Was die vielen Narren des heutigen Abends „nicht tun“, das ist – mitzuspielen. Ihr Sprechen macht den Text nicht verständlich, sondern unverständlich; und wenn alles kippt um sie herum, weigern sie sich mitzukippen.
Spektakulär geht Regisseur Marcus Lobbes im Opernhaus zu Werke, um Irritationen in Szene zu setzen, wie sie schon Büchner seinem Werk eingeschrieben hatte. Denn nicht die Fabel um die titelgebenden Königskinder und ihre endliche Verehelichung war schließlich je das Interessanteste an „Leonce und Lena“. Vielmehr räsonierten etwa Prinz Leonce (heute: Jakob Walser) und sein Freund Valerio, der Hofnarr (Thomas Braus), begleitend zur dürren Handlung müßig über alles Mögliche und Unmögliche – wie zum Beispiel: über den Müßiggang, oder: über das Räsonieren. Und so zelebrierte dann das ganze Stück seit der Niederschrift im Jahr 1836 sehr komisch die Sinnlosigkeit des Daseins.


v.l.: Thomas Braus, Hanna Werth, Jakob Walser  - Foto © Uwe Stratmann
 
Staunenswerte Hebel
 
Die Wuppertaler Regie setzt im Verein mit der ebenso zentralen Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert nun staunenswerte Hebel in Bewegung, um neu zur Irritation zu finden. Allen voran: die Hebel zum Bühnenboden. Denn, man reibt sich schier die Augen, der Untergrund des Geschehens gerät zusehends und buchstäblich in Schieflage, Stück für Stück – bis er, am Ende senkrecht, zum Hintergrund geworden ist. Erst so ist auch zu überschauen, daß bis dahin das ganze Spiel auf einem riesigen Wohnungs-Grundriß stattgefunden hat. Es muß dem akrobatischen Geschick der Schauspieler einiges abverlangen, sich da so ungerührt auf den Beinen zu halten. Daß ihnen das aber scheinbar mühelos gelingt: Es läßt die Figuren heute gerade so autonom erscheinen, Büchners Melancholiker, Spinner und Faulenzer. Denn klar, der Plan steht kopf – aber was kümmert das, wenn man ja ohnehin keinen Plan hat?
 
Generationenvertrag
 
Ein Spektakel ist dann nicht nur die Ausstattung der Bühne, sondern auch die der ebenfalls von Pia Maria Mackert verantworteten Kostüme. Manga ist hier das Motto: die aus Japan stammende Anime-Optik mit ihren knallbunten Frisuren, den Stiefeln, Flügeln, Posen – und der demonstrativen Künstlichkeit. Auf diese Weise zollt die Regie heute Abend ihrem Auftrag Tribut: Lobbes und Mackert hatten Büchners Stück mit dem Thema „Generationenvertrag“ zu unterlegen, wie es in anderer Form bereits für ihre Produktionen „König Lear“ sowie „Baumeister Solness“ in den vergangenen Spielzeiten galt. Nun also die Manga-Subkultur als Grund für Irritation zwischen Erwachsenen und heutiger Jugend. Und toll anzuschauen ist das schon, wenn diese exotische Comic-Ästhetik nun Einzug hält in die klassische Bühnenkunst. Zum erwünschten Nicht-Verstehen allerdings trägt es so viel nicht bei; denn Narren sind nun einmal bunt – auch ganz ohne Asien-Anleihen.


Thomas Braus, Hanna Werth  - Foto © Uwe Stratmann
 
Geistreiche Belanglosigkeit
 
Ins Schwanken gerät aber trickreich auch noch der Text. Passagen wie die religiösen Schwärmereien von Prinzessin Lena: „Ist es denn wahr, die Welt sei ein gekreuzigter Heiland, die Sonne seine Dornenkrone und die Sterne die Nägel und Speere in seinen Füßen und Lenden?“ – schon bei Büchner skurril, bringt Hanna Werth sie jetzt schrill quiekend in triezender Stimmhöhe. Das ist schwer vorzustellen, und noch schwerer zu ertragen – aber doch einleuchtend: Der Inhalt, scheint’s, interessiert heute die Figuren beim Sprechen genauso wenig wie der schwankende Boden beim Gehen. Nicht immer tut diese Idee dem Text einen Gefallen, der bei Büchner eigentlich doch selbst viel subversives Potential zu bieten hätte – wenn man ihn denn ließe: Jakob Walser als Leonce etwa muß seinen schön formulierten Überdruß anfangs betont monoton und unbeteiligt sprechen. Da könnte man dem zeitlosen Witz mehr vertrauen.
Aber: Oft genug läßt man ihn ja, Leonce und Konsorten. Und wenn etwa Valerio seine geistreichen Belanglosigkeiten cool ins kippende Schlafzimmer ruft, während die Betten den Weg allen Fleisches gehen, pardon: rutschen: Den echten Narren kann das nicht erschüttern.
 
 
P.S.: Als gutes Theaterstück schaffte es die Inszenierung am Ende ja auch doch noch, einen kleinen Generationenkonflikt zu provozieren – genauer: nach dem Ende. Getreu der journalistischen Sorgfaltspflicht hat der Berichterstatter nämlich gleich nach dem Premierenapplaus einen Schwung mutmaßlicher Kenner im Foyer angesprochen und sich zur Sicherheit vergewissert, ob das soeben wohl „alles“ Pokemons gewesen seien – „oder wie heißen die Viecher?“ Nur knapp beschied ihn das fremde Teenie-Mädchen, Anime seien das gewesen – sichtlich indigniert ob so viel Unkenntnis der Altvorderen. „Anime. Oh. Keine Pokemons. Danke.“ Konfusion perfekt.


Thomas Braus, Jakob Walser, Sophie Basse, Hanna Werth, Marco Wohlwend  - Foto © Uwe Stratmann
 
Weitere Informationen und Termine: www.wuppertaler-buehnen.de
 
Redaktion: Frank Becker