Abende von Berlin – Lärmmusik

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin – Lärmmusik

E
s war ein außergewöhnliches Ereignis, nicht weil vor dem Konzert an jeden Ohrstöpsel verteilt wurden für alle Fälle, was ich noch nie bei einem Konzert erlebt habe. Nein es war so exzeptionell, da drei Musiker erstmals zusammenspielten, die jeder für sich schon zu den außergewöhnlichen Musikern zu zählen sind, Blixa Bargeld aus Berlin, nunmehr Peking, Caspar Brötzmann aus Wuppertal, nun Berlin, und Michael Wertmüller aus Thun in der Schweiz. Ihr Auftritt an diesem Abend von Berlin dauerte nicht einmal eine Stunde, doch es war eine Sternstunde, eine „Sensation“, wie die Berliner Zeitung drei Tage später elogierte.
Anlaß für das Konzert war die Wiedereröffnung des Elektroakustischen Studios der Berliner Akademie der Künste, das Anfang der 1980er Jahre von dem Komponisten Georg Katzer in der noch DDR gegründet worden war. Von ihm kam im ersten Teil des Konzerts auch die Komposition „Dialog Imaginär“ für Klavier und elektronisches Zuspiel zur Aufführung. Zuvor war der Schlagzeuger Michael Wertmüller schon in einem furiosen Spiel für Drumset, Zuspiel und Video von Michael Beil zu hören gewesen, woraufhin zartbesaitete Ohren sich nun schon mittels Stöpsel um den vollen Genuß der Musik brachten.
Nach der Pause traten dann die drei Heroen betont lässig auf die Bühne. Gespannte Erwartung im Saal, denn der Großteil der fast tausend Zuhörer war gekommen, um endlich wieder einmal Blixa Bargeld, einst „Einstürzende Neubauten“ und Caspar Brötzmann, von „Massaker“ zu hören, zusammen mit Michael Wertmüller, der auch schon Caspars Vater Peter, den genialen Saxophon-Wüterich begleitet hat.
„Caspar fang an“ meinte Blixa beiläufig, und Caspar entlockte seiner Gitarre einen Ton, der anschwoll, als er die Gitarre vor den Verstärker hielt, ein Schwingen, ein Rauschen, ein Fiepsen dröhnte durch den Saal, bis Wertmüller die Trommeln schlug, das ganze den Drive bekam, den man auch von „Massaker“ kennt, woraufhin Blixa das Mikrophon nahm und seinen Sprechgesang kaum verständlicher Worte hineinflüsterte, stöhnte, schrie.
Wie soll man diese Musik nur beschreiben, es ist kaum möglich, wie soll man sie benennen? Industrial, Noisemusik, natürlich ist es Lärm pur für die einen, die sich um die Musik bringen, in dem sie sich die Ohren zustopfen, für die anderen ist es eine Musik, die über jede bisherige Musik hinausragt. Elektronische Versatzstücke werden von Blixa aus dem Laptop hervorgezaubert, komplexere Klangstrukturen ergeben sie, dazu tritt die Übersteigerung des Feedbacks der Gitarre, wenn sich Caspar vor die Verstärker hockt, sich ihnen hinzu und wieder wegdreht. Drei Stücke spielen die drei, die sie an zwei Tagen in der Akademie einstudiert haben,
„Kill history“ schreit Blixa ins Mikrophon in den Saal, sonst hat man von den Worten nicht viel verstanden, was aber nichts macht.
Nach 45 Minuten ist Schluß, die drei verlassen die Bühne, kehren dann aber noch einmal zurück, Blixa lustlos, aber er macht weiter mit, doch es ist Brötzmanns Stück, die Zugabe. Danach schleichen die drei ins Dunkel ab, kümmern sich nicht um den Applaus des Publikums. Voll cool. Da ist ja Faschismus, dieser Lärm, meint ein dicker alter Mann, der auch einmal Komponist war. Ach was! Du selbst Faschist, meint ein anderer.
Diese Musik ist nicht jedermanns Musik. Und das ist auch gut so. Denn sonst wäre sie nicht so exzeptionell.


© 2013 Jörg Aufenanger