Angst vor dem “schwarzen Mann”

oder vor dem “falschen Wort”?

von Joachim Klinger

Joachim Klinger - Foto © Frank Becker
Angst vor dem
“schwarzen Mann”
oder vor dem “falschen Wort”?
 
Nicht nur die Literaturszene beschäftigt die Frage, ob Kinderbücher, die sich nachhaltiger Beliebtheit erfreuen, nach Jahrzehnten “politisch korrekt umgeschrieben werden müssen”. Die interessierte Leserschaft reagiert erregt auf “anstößige” Ausdrücke wie “Neger” und “Zigeuner” und befürchtet “Fremdenhaß” und “Rassismus”.
 
In mir erzeugt das Verlangen nach “Säuberung” Unwohlsein.
 
Die Schriftstellerin Christine Nöstlinger, die mehr als 100 Kinder- und Jugendbücher geschrieben hat, hält von der Tendenz zur nachträglichen Eliminierung gefährlicher Worte nichts und spricht lapidar von “Unfug” (Interview in “Der Tagesspiegel” vom 27. Januar 2013 - Sonntag - von Barbara Nolte). Dem Hinweis, daß “nicht nur Schwarze” das Wort “Neger” als schwere Beleidigung empfinden, begegnet sie mit dem Vorschlag, den in der Gegenwart bedenklichen Ausdruck mit einem Sternchen zu versehen und in einer Fußnote zu erläutern, daß er vor 50 Jahren gang und gäbe war und allgemein nicht als schlimm empfunden wurde. Und dann urteilt Christine Nöstlinger kurz und eindeutig: “Rassismus ist eine Gesinnung, die schafft man nicht ab, wenn man Worte abschafft” (vgl. Interview). Da kann ich nur sagen: Wie wahr!
 
“Gesinnungsschnüffelei”, die eine Ausdrucksweise seziert, ist mir nach den Erfahrungen im sogenannten Dritten Reich verhaßt. “Sprachregelungen” habe ich als beengend empfunden. “Verbotene Wörter” hat man vor sich hingeflüstert und so in Gegenwart anderer vermieden. Ob es sich nun um “Scheiße” oder “Nazi” handelte. Braune Bonzen nannte man “Goldfasanen” und Hitler den “GröFaz” (Größter Feldherr aller Zeiten), natürlich heimlich.
 
“Neger” war in meiner Kindheit kein Schimpfwort, “Nigger” wohl, ebenso “Zigeuner”. Wer weiß, daß die Bezeichnung als “Eskimo” von einem Bewohner der Arktis (an den Küsten Grönlands, Alaskas, Labradors) als arge Kränkung übel genommen wird? Dabei soll dieses Wort in der eigenen Volkssprache “Mensch” bedeuten. Ähnlich soll es sich mit dem Wort “Kanake” verhalten, das Eingeborene der Südseeinseln benennt und bei uns als Schimpfwort benutzt wird.
Schon lange ist in den USA das Wort “Neger” verpönt. Stattdessen sagt man “Afroamerikaner”.
Apropos “schwarz”! Als ich ein kleiner Junge war – in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts – gab es Spiele auf Straßen und Plätzen, die mit gesungenen bzw. gebrüllten Kinderversen begleitet wurden und uns kreischend auseinanderstieben und Verstecke suchen ließen. Die Zeilen “Ist die schwarze Köchin da?” oder “Wer fürchtet sich vor’m schwarzen Mann?” wurden laut gerufen und erzeugten eine lustvolle prickelnde Angst. Gewiß dachte man nicht an Gestalten afrikanischer Herkunft. Vielleicht an eine Köchin mit rußgeschwärztem Gesicht, an einen finsteren Kerl mit schwarzer Gesichtsmaske. Die schwarzen Typen kamen aus einer Dunkelheit, vor der man sich fürchtete.
Ich muß gestehen, daß ich mich in Gedichten mit ihnen befaßt und sie und ihr Treiben entfaltet habe. Angesichts der gegenwärtigen Debatte bin ich beinahe froh, daß diese Texte nicht veröffentlicht worden sind und mir damit Ärger erspart wird.
 
Aber ich hoffe und bitte, daß diese Drohgestalten aus Kindheitstagen nicht “bereinigt” werden. Die Farbe “schwarz” sollte uns erhalten bleiben!
Und, das fällt mir soeben ein, auch die Farbe “gelb”! Oder diskriminiert der Begriff “die gelbe Gefahr” ein ganzes (großes und bedeutendes) Volk? Auch hier haben die Amerikaner für sich eine Sprachregelung gefunden: Chinese-American.
 
Was mich selbst betrifft, so werde ich sicherlich mit meiner Sprache in manches Fettnäpfchen tappen, ohne jemals in Beleidigungsabsicht zu handeln. Demütig werde ich Kritik und Tadel ertragen.
Aber eines verbitte ich mir: man darf mich nicht als “schwarzes Schaf” im deutschen Sprachraum bezeichnen!
 
 
 
Berlin, Februar 2013                                                                      Joachim Klinger