Stolz

Ein Sonett von Friedrich von Bodenstedt - illustriert

von Frank Becker


Foto © Frank Becker

 

Stolz
 
Ein Mensch, der stolz und frei durchs Leben geht,
Gleich groß in trüben wie in heitern Tagen,
Gelassen Glück wie Unglück weiß zu tragen,
    Erscheint ein Wesen, das man nicht versteht.
   
Die Menge haßt, was frei von ihr besteht,
Nur wer ihr schmeichelt, darf sie überragen,
Doch wer zu stolz zum Schmeicheln und zum Klagen,
    Der wird gehaßt, verfolgt wie ein Prophet.
  
 Des Weisen Ruhe weckt der Thoren Wuth,
Denn alles, was den Menschen ungewöhnlich,
Beherrscht sie - oder reizt sie unversöhnlich.
   
Und Wenige nur sind wahrhaft groß und gut -
Der Menschen Mehrzahl bleibt stets in der Kindheit,
Leichtgläubig, kleinlich, offnen Aug's voll Blindheit.
 

Friedrich von Bodenstedt