Psycho
Es gibt viele unglückliche Menschen in der Stadt. Arme Seelen, deren nächster Zusammenbruch in meinen Armen stattfinden kann. Viele warten nur darauf, mich zu treffen. Es kann schon sein, wenn die erste Sonne auftaucht, daß sie sich auf die Suche nach mir machen. Ich traf mal jemanden, der aussah, als würde er sich die Haare selbst schneiden. Seine Kleidung wirkte, als hätte er sie nicht selbst ausgesucht. Er hielt einen Papp-Eisbecher in der Hand und sammelte Geld ein. Was soll ich nur machen? Er hatte mich schon gesehen und steuerte auf mich zu. Ich blieb vor ihm stehen und versuchte, unsympathisch zu sein. Man darf sich nicht zu leicht ausnützen lassen. Der Mann würde sich doch nicht ausziehen? Ich fragte sofort: »Sie sind doch kein Psycho?« Ich hatte keine Lust, mich rühren zu lassen von einer herzzerreißenden Psychogeschichte. Ich hatte es auch schwer im Leben und bin doch normal geblieben. Ich war sogar mit einem Psycho verheiratet und bin Mitglied im Schützenverein, wo du jeden Augenblick damit rechnen mußt, erschossen zu werden. Ich fragte also noch mal: »Sie sind doch kein Psycho?« Mein Gegenüber sah auf den Boden, zog sein T-Shirt, welches er auf links trug, lang und sagte: »Doch, tut mir leid. Ich habe es nicht geschafft.« Dann fing er an zu schluchzen. Ich gab ihm gleich 2 Euro. Das schien er aber nicht bemerkt zu haben.
© Erwin Grosche 2013 für die Musenblätter
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