Zuviel Gerede

Jussi Adler Olsen - „Das Washington Dekret“

von Frank Becker

Manchmal ist weniger mehr
 
Jussi Adler Olsen verläßt mit seinem jüngsten Roman die Erfolgsschiene seiner originellen und atemberaubend spannenden Krimis um den Kopenhagener Sonderermittler Carl Mørck, mit denen er sich auch auf dem deutschen Markt grandios etabliert hat. Der Polit-Thriller „Das Washington Dekret“ skizziert auf voluminösen 649 Seiten die erschreckende Vision einer Übernahme der Macht in den USA durch skrupellos machtbesessene Politiker, die das Land mit Notverordnungen, Ausnahmezustand und kalkulierten Morden an den Rand eines Bürgerkriegs bringen. Ein gewagtes Projekt für einen Roman-Autor, das angesichts seiner Vielschichtigkeit einen gewaltigen Berg vor ihm aufbaut und mit seinem Realismus steht oder fällt. Der Berg kreißte – und gebar eine Maus.

Was sich zunächst flüssig anläßt und sowohl interessante Charaktere wie Szenarien aufbaut, gerät Jussi Adler Olsen schon bald aus dem Ruder. Er zerfranst die anfangs neugierig machende Story in unendlich viele Erzählebenen, wortgewaltige Dialoge und aufwendig inszenierte Nebenschauplätze, die auch für den umsichtigsten und erfahrenen Leser schnell undurchsichtig und allzu kompliziert werden. Haarsträubende Zeitsprünge und -lücken sowie teils konfuse logische Brüche tun ein übriges, aus der anfangs spannenden Lektüre bald eine Pflichtübung zu machen. Man will nur noch mit dem Buch „fertig“ werden. Das macht aus der Pflicht des Rezensenten eine Geduldsübung. Langatmige Erläuterungen, ausufernde Dialoge, stets weiter zunehmendes Personal, endlose Gedankengänge einzelner Figuren, hanebüchene Verknüpfungen und immer neue, noch kompliziertere Wendungen werden wohl manchen Leser nach spätestens 400 der 649 Seiten in die Flucht treiben. Zwar schafft der Autor es immer wieder Situationen neuer Spannung aufzubauen, doch wirkt das von Mal zu Mal mehr und mehr aufgesetzt. Mit einem strafferen Erzählgerüst, einer Reduzierung des Personals und dem entschiedenen Verzicht auf endlose Tiraden hätte Adler-Olsen die Geschichte auch leicht auf 300 Seiten weniger erzählen und vielleicht einen wirklich packenden Thriller schreiben können.

So bekommt man den Eindruck einer selbstverliebten Schreibwut, die alles herauslassen möchte, was zuvor über die amerikanische Gesellschaft, ihre Struktur, Politik und Gesetze recherchiert worden war. Daß nicht kompakte Handlung, sondern hastige, wenn auch wortreiche Erklärungen, warum und wie was geschah, bei dem der Leser nicht zugegen war, am Ende die Logik ersetzen sollen, sorgt eher für Mißvergnügen. Adler Olsen hat (außer dem ebenfalls mißlungenen „Alphabethaus“) schon weit besseres abgeliefert. Ich jedenfalls habe nach der letzten Seite und einer voraussehbaren, flachen Schlußpointe den Wälzer erschöpft beiseite gelegt. Nun freue ich mich auf den nächsten Carl Mørck. Das kann Adler Olsen.
 
 
Jussi Adler Olsen – „Das Washington Dekret“
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess und Marieke Heimburger
Deutsche Erstausgabe
© 2013 dtv Premium, 649 Seiten, geb. m. Schutzumschlag, Lesebändchen
ISBN 978-3-423-28005-1
19,90 € [D] 20,50 € [A], 27,90 sFr
 
Weitere Informationen:  www.adler-olsen.de/  -  www.jussiadlerolsen.dk/ und  www.dtv.de