„Himmlische Begrüßung“
Guten Tag! Das Gewölbe ist eng, aber sein Geist ist weit. Wir im SWR versuchten also, zu diesem ‚Cafe’ via Satellit eine Schalte einzurichten. Gar nicht so einfach, meine Damen und Herren, gar nicht so einfach. Im Himmel geht zwar alles wie von selbst, keiner muss tun, was andere wollen, weil jeder macht, was er kann, nicht was er will, aber was er kann, so dass alle am Ende etwas davon haben, so dass alles auf diese Weise funktioniert, automatisch, bis in die entlegendsten Wolken. Aber eben nur im Himmel. Nicht beim SWR. Es hat dann doch noch geklappt. Ja, ja. Man muss ein bisschen Glück haben, Man sagte uns im ‚Cafe Pilatus’, was zu tun ist: Beim zuständigen Firmament, sei eine Funkleitung ins All zu beantragen. Das ginge aber zügig und die vom Firmamentamt seien echt firm und ihr Geld wert. Über diese Leitung müsse man seine Zielperson ausrufen. Nicht jedoch bei ihrem Namen: Der sei Schall und Rauch! Die meisten dächten, wenn sie sich auf Erden einen so genannten guten Namen machten, führe das bis in den siebten Himmel. Falsch! Es komme auf gute Taten an, die anderen im Leben etwas bedeutet haben. Damit sei die Zielperson auszurufen. Und: Gute Worte gehörten dazu, oder eine Melodie, irgendwann für irgendjemand ausgedacht. So hätten alle ihre Codes und Chiffren, bis in die Ewigkeit. Wenn sie denn von den Lebenden ausgerufen würden! Die Sprache sei egal. Am Besten klappe es Mittwochs, wurde gesagt. Da sei auf der Milchstraße nicht so viel los, sei es im ‚Pilatus’ nicht so voll. Wir waren mit allem einverstanden. Die Zeit drängte. Wir verorteten eben noch die Standleitung, als aus dem Hintergrund eine Stimme laut wurde, die, wie sich herausstellte, Brecht gehörte, Bertolt Brecht. Er wolle seine jüngste Presse lesen, erfuhren wir, bei ‚Manna con Latte’. Aber dann mischte er sich plötzlich aufgebracht ein: Dass die Sache mit dem Ausruf nur funktioniere, wenn die irdischen Taten echt und die menschlichen Worte nicht von anderen geklaut, denn nur der wahre Urheber folge hier oben seinem Aufruf. Das liege an den himmlischen Zuständen... Aha, sagten wir! Das sei bei unserer Zielperson gar kein Problem, gar kein Problem, sagten wir. Die vom Archiv wussten natürlich von den guten Taten. Der ‚Verbrannten Zeit’ zum Beispiel, jener literarischen Collage, die Hanns Dieter Hüsch auf den Tag genau vor 25 Jahren in einer Fernsehmatinee mit Freunden und Kollegen auf die Bühne gebracht hatte, um an die Autoren der verbrannten Bücher zu erinnern. Erinnern war ihm wichtig. Wenn man sich keine Erinnerungen schafft, wurde oft von ihm gesagt, kann man sich auch nicht erinnern. Genauso mit den Erfahrungen: Wahrscheinlich lebte er so rastlos, weil er ganz viele davon sammeln wollte, um sie danach, Wort für Wort, aufzuschreiben und vorzutragen; seine guten Worte füllen Bände. Gerade hier. Merkwürdig: Liest man sie mit dem Abstand von heute, hört man sie im Vergleich zu Heutigem, erscheinen seine Kabaretttexte stilistisch, ästhetisch und moralisch wie von einem anderen Stern! Es war endlich soweit! Wir riefen ihn aus. Zuerst mit der guten Tat. Die Leitung funktionierte. Dann waren die guten Worte dran. Wir hatten uns welche zurechtgelegt, Zitate, auszugsweise, und waren ganz gespannt, ob er uns hören, ob er uns wohl antworten würde: Am Himmel weht eine Gardine. Nichts. Nichts passierte. Kein Ton war zu hören. Aber wir wussten: Diese Zeilen hatte er und kein anderer geschrieben. Ganz sicher. In jungen Jahren. Wir versuchten es weiter: feiner regen kleine narren, Achtung? War da was? … Nein … Nur so ein unruhiges Knistern rauschte durch die Leitung. Und verschwand wieder. Wir dachten schon … wegen Mainz. aber nein, nichts. Mensch, du armes Lebewesen, Wieder nichts. Wir versuchten eine Melodie. Jürgen Streck spielte diese: Und da, erst ganz leise, meldete sich auf einmal eine Stimme. Das ist doch vom Hüsch! Wollt ihr den ausrufen? Da werdet ihr wohl kein Glück haben. Ja, ich weiß. Manchmal treffen wir uns. Wir sind im selben Tanzkreis. Ach was? Tanzt Hüsch immer noch so gern? Ja, natürlich. Aber man weiß nie, wann er kommt. Weil er sich Gott-weiß-wo rumtreibt. Der war ja schon auf Erden nie zu hause. Erst wenn man unseren Leib entdeckt Auf einmal, aus der Ferne des Raumes, hörten wir… ein Grummeln. Es kam näher. Es war seine Stimme! Es war tatsächlich seine, diese unverwechselbare Stimme. Sie wurde deutlicher und für einen Augenblick war sie ganz klar zu verstehen, ganz nah. Wir waren sprachlos! Doch als hätte er gewusst, um was es uns geht, hörten wir genau, wie er sagte: Ich grüße euch,
Aber danach … war nichts mehr zu hören. (Jürgen Streck spielt das Motiv noch Vielen Dank. Himmlische Begrüßung © Jürgen Kessler 2007 / Zitate von Hanns Dieter Hüsch / Jakob van Hoddis aus Weltende - Veröffenlichung mit freundlicher Erlaubnis des Autors Weitere Informationen finden sie unter: www.kabarettarchiv.de |