Zum Ableben von Chinua Achebe

von J. P. Clark & Wole Soyinka

Chinua Achebe - Foto: Stuart C. Shapiro

Zum Ableben von Chinua Achebe
Von J. P. Clark & Wole Soyinka

Auf Bitten von Wole Soyinka übersetzt von Gerd Meuer
 
Für uns ist der Verlust von Chinua Achebe auf intensivste Weise vor allem ein persönlicher Verlust. Wir haben einen Bruder, einen Kollegen, einen Pionier und einen beherzten Kämpfer verloren. Aus dem „Pioneer-Quartett“ (x1) der zeitgenössischen nigerianischen Literatur sind zwei Stimmen zum Schweigen gebracht worden – erst der Dichter Christopher Okigbo (x2) und jetzt der Romancier
Chinua Achebe. Für Menschen außerhalb dieses intimen Zirkels ist es vermutlich schwer zu begreifen, welchen tiefen Verlust wir erleiden, doch wir trösten uns mit der
Existenz der jungen Generation von Schriftstellern, an die der Stab weitergereicht wurde, diejenigen, die bereits auf kreative Weise sichergestellt haben, dass es im Kontinuum der literarischen Berufung keine Unterbrechung gibt. Wir müssen dies nachdrücklich betonen in dieser kritischen Phase der nigerianischen Geschichte, in der die Kräfte der Dunkelheit jene Helligkeit des  Seins zu verdunkeln scheinen, wie sie die Literatur darstellt. (x3) Diese Kräfte der Dunkelheit brüsten sich als die unerbittlichen und brutalen Feinde dessen, was Chinua und seine Feder repräsentierten, und zwar nicht nur für den afrikanischen Kontinent sondern wahrhaftig für die gesamte Menschheit. Wir fragen uns in der Tat, ob das brutale Massaker von Chinuas Leuten (vom Volk der Ibo) vor nur wenigen Tagen
in Kano (x4) nicht dazu beigetragen hat, die fatale Unterminierung seines nicht kleinzukriegenden Willens, der ihn seit seinem Unfall, (der ihn in einen Rollstuhl zwang x5), aufrecht erhielt, zu beschleunigen.
Wie dem auch sei, nach dem ersten Schock und nach dem Gefühl des Verlorenseins behaupten wir voller Gewissheit, dass Chinua lebt. Seine Werke legen das fortwährende Zeugnis ab, dass der menschliche Geist die Kräfte der Repression, der Bigotterie und des Rückschritts beherrscht.

Anmerkungen des Übersetzers, der von Soyinka um ‚Übersetzung und Verbreitung’ dieses Textes gebeten wurde:
X1 mit diesem Ausdruck spielen die beiden Autoren auf das Quartett der Schriftsteller Achebe, Clark, Okigbo und Soyinka an, das über Jahrzehnte die literarische Szene in  Nigeria dominierte. 
X2 Der Dichter Christopher Okigbo vom Volk der Ibo kam bereits in den ersten Monaten des Biafra-Krieges ums Leben.
X3 Soyinka und Clarke spielen hier auf die seit einigen Jahren währenden und sich in jüngster Zeit mehrenden tödlichen Attentate der fundamenta-islamischen Gruppierung BOKO HARAM v.a. im Norden Nigerias an. BOKO HARAM heißt soviel wie ‚das Buch ist verboten’. 
X4 Vor allem in der Millionenstadt Kano im Norden sind erst in den jüngsten Tagen mehrere Dutzend Menschen Opfer von bewaffneten Anschlägen geworden, vornehmlich Menschen vom Volk der Ibo. Im Jahre 1967 waren die großen Massaker an den Ibo in Kano und anderen Städten in Nord-Nigeria der Auslöser für deren Massenflucht nach Iboland (Eastern Nigeria) und die dann folgende Ausrufung der Republik Biafra. Soyinka vom Volk der Yoruba sprach sich deutlich gegen den Krieg Nigerias gegen Biafra aus und war dann ohne Gerichtsprozess 29 Monate lang inhaftiert.
X5 Nach einem schlimmen Autounfall Anfang der neunziger Jahre war Achebe in einen Rollstuhl gezwungen, fuhr aber fort zu schreiben und an amerikanischen Universitäten zu dozieren.
 
Chinua Achebe, nigerianischer Schriftsteller, Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2002
Wole Soyinka, nigerianischer Schriftsteller, Literatur-Nobelpreis 1986
John Pepper Clark, nigerianischer Lyriker, Dramatiker und Hochschullehrer

Redaktion: Frank Becker