Die Unterführung

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Die Unterführung
 
Eine richtige Stadt hat ein Gesicht. Ein richtiges Gesicht hat Falten. Eineder kölschesten Falten im Gesicht dieser wunderbaren Stadt ist die Bahnhofsunterführung. Ich liebe sie. Du weißt schon: wenn man von der Rheinuferstraße kommt, sich durch den Tunnel gemogelt hat (von Süden kommend) und dann links ‘erein will in die Stadt. Die Ampel, die immer op rud steiht, gibt mir die Minute Vorbereitung, die ich brauche, denn gleich werde ich unterm Bahnhof stehen (weil auch do die Ampel op rud steiht) und wieder, wie fast jeden Tag, fasziniert sein von dieser Unterführung. Sie hat zwei Teile: einen alten und einen neuen. Der alte Teil ist gekachelt und genietet, gußeiserne Bögen spannen sich über mir, geben mir Geborgenheit, wie die Stadt auch. Die vergilbten Kacheln entlang fließen schmutzige Tränen. Sie nötigen Respekt ab. Auch die Sprayer spüren das und lassen sie unberührt. Die alte Frau weint und macht sich noch nicht mal die Mühe, die verschmierte Wimperntusche wegzuwischen. Ein paar Plakate schreien mir entgegen, womit sie sich schmückt, um mir zu gefallen, ihre spärliche Zahl aber zeigt mir, wie gelassen sie das nimmt. Im Halbdunkel raunt sie mir zu, wie schön sie war, als der Dom noch jung war und die Hohenzollern noch Kinder. Dann öffnet sie ihren Schoß und gibt mir Freiheit: der neue Teil. Ich kann geradeaus und rechts zum Bahnhof und dann in den Norden fahren, oder links in die Stadt oder links zurück wieder raus, wenn sie mir nicht gefällt, nach Norden oder nach Süden, wie ich es will. Dabei aber zeigt sie mir kleine Gässchen - wohin führen sie? -nach rechts und nach links, und Treppen. Geheimnisse. Die Reihe der Taxis wartet. Sie haben Zeit. Köln auch. Es ist so, als ob sie beide hier Atem schöpften. Stell Doch Dein Auto irgendwohin (wenn es sein muß, auch in die unsägliche Tiefgarage) und gehe zu Fuß durch dieses kleine Labyrinth. Atme tief durch und genieß die Gefühle, die jetzt kommen: Schritte hinter Dir und schon gehst Du schneller (nirgends wird weniger überfallen als hier), atme den Duft von Benzin und Urin, horch auf den Klang Deiner Schuhe, schau ihn an, den Berber vor der Wendeltreppe hoch zu Bahnsteig eins, er spricht Dich noch nicht mal an, komm, gib ihm fünf Mark, er braucht sie, dat Rievkoochebödche schmeichelt sich ein, gemischt mit dem Hauch von Jil Sander aus dem Schoß der Schönen, die eben im Wartesaal verschwunden ist, hör den Applaus aus der Philharmonie und trag ihn hinüber zu den Strichern, die vor dem Bahnhof auf Kunden warten, genieß, bitte, das Geschlecht dieser Stadt, die wir lieben: hier ist es. An allen anderen Ecken der Stadt kriegst Du es nur isoliert: die Schönen, die Reichen, die Kölschen, de Kraate. Aber hier, in der Unterführung, da sind sie alle beisammen. Unzensiert und echt. Das Geschlecht der Stadt Köln. Steig aus und Du wirst es sehen. Wenn Du Augen hast. Oder riechen. Ich liebe diese Unterführung.
 
Paris hat es mit dem Umbau der Hallen verloren. Köln, Du Schöne, hast es noch immer.   

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher



©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker