Die Erfindung des Journalismus

von Victor Auburtin

Victor Auburtin
Die Erfindung des Journalismus
 
Robert de Jouvenel, ein französischer Journalist von Ruf, hat ein kleines Buch über das Zeitungswesen herausgegeben, das er „Der Journalismus in zwanzig Unterrichtsstunden“ nennt. Das Buch tritt also als eine Art Leitfaden auf, aber dies ist nur die äußere Form, um die Sache übersichtlicher zu machen. Jouvenel muß, ebenso wie jeder Fachmann wissen, daß der Journalismus sich nicht erlernen läßt, nicht in einer und noch weniger in zwanzig Unterrichtsstunden.
Es sei diesem französischen Verfasser gesagt, weil er selber nicht davon spricht, daß Journalist jeder werden kann, der den gehörigen Mut hat. Man braucht dazu nur einen Bleistift, Papier, ein Konversationslexikon, den Gothaischen Hof- und Staatskalender und ein Quantum Gehirnmasse, das je nach der Parteistellung des betreffenden Blattes verschieden sein wird. Nicht einmal diese Apparate sind alle notwendig, und man kann bequem etwas anderes stattdessen verwenden.
So gibt es bedeutende Journalisten, die anstatt des Bleistiftes einen Klebepinsel gebrauchen und die Gehirnmasse durch Gummiarabikum ersetzen. Die Wirkung auf den Leser ist in beiden Fällen vollkommen dieselbe.
Herr Jouvenel quält sich auch mit dem Problem ab, wer die Presse erfunden hat, und er rät auf einen alten Franzosen aus der Zeit Ludwigs XIV. Das ist ebenso falsch wie alle anderen Deutungen, die zu diesem Gegenstand vorgebracht worden sind.
Ich erlaube mir die Behauptung aufzustellen, daß Journalisten dagewesen sind, seitdem es Menschen gibt, die sich den Schädel einschlagen, und seitdem es andere Menschen gibt, die über einen solchen Zwischenfall unterrichtet sein wollen, also seitdem es eine Zivilisation gibt. Nur daß die damaligen Kollegen nach anderen Verfahren arbeiteten als wir, aber darauf kommt es ja nicht an.
Wir Heutigen berichten auch schneller und mit anderen Mitteln – Telegraf, Telefon – als die Journalisten Gustav Freytags und tragen doch denselben Namen.
Die ältesten Journalisten, die wir kennen, waren jene wandelnden Sänger, von denen die Odyssee erzählt. Sie saßen am Tisch der Großen, schlugen die Laute und berichteten in schönen Versen von dem Fall Ilions, der damals schon zwanzig Jahre zurück lag.
Also eilig hatte es die Presse in jenen Zeiten nicht, und die Kriegsberichte waren nicht gerade aktuell.
Aber dafür waren sie in Hexametern verfaßt. Diese Kollegen waren nicht fest angestellt. Man bezahlte sie von Fall zu Fall.
So erhält im achten Gesang der Odyssee der Berichterstatter Demodokos als Honorar für einen kurzen Artikel eine Scheibe Schweinebraten und einen tiefen Becher süßen Inselweins.
Auch hierin ist alles anders geworden.
Aber nicht schöner.
 
 
Victor Auburtin