25 Jahre Kulturzentrum Klosterkirche Lennep

(und ich immer dabei)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
25 Jahre
Kulturzentrum Klosterkirche Lennep
(und ich immer dabei)
 
Als ich das erste Mal in die Lenneper Klosterkirche kam, es war 1993, also vor 20 Jahren, da war ich auch das erste Mal in Lennep. Da bestand das Kulturzentrum Klosterkirche gerade etwas über fünf Jahre. Lennep war mir allerdings nicht unbekannt: als Schüler habe ich ein Referat über Herrn Röntgen machen müssen, stieß da auf den Namen Lennep und fragte mich, wie es wohl zu diesem Namen kam, der in meinen Ohren eher wie eine alte Maßeinheit klang, so was wie: der Acker ist gut seine 2 Ar und vier Lennep groß. Von der alten Linepe wußte ich natürlich nichts. Dann war mir, dem Opernfan von Kindesbeinen an, Lennep vertraut als Geburtsort des Vaters eines meiner sängerischen Idole: Wolfgang Windgassen (ich habe die Abschiedsvorstellung von Herbert von Karajan in der Wiener Staatsoper erlebt, bei der Wolfgang Windgassen den Tristan gab und dafür mit gut einer Stunde Applaus überschüttet wurde). Fritz Windgassen, selbst grandioser Wagnersänger wie sein Sohn Wolfgang, war Lenneper, da war also schon was gebacken, in diesem Lennep, wo immer es auch sein mochte (für mich damals eher bei Köln als bei, äh, nöö, den Namen dieser Stadt muß ich jetzt nicht aussprechen, nein, ich meine nicht Düsseldorf!). Als ich dann hier ankam, war das erste, was mir die Gründungsmitglieder in der Garderobe in der Klosterkirche sagten:
„Wenn Sie rausgehen und das Publikum begrüßen, sagen Sie um Gottes Willen nicht, daß Sie hier in, äh, Dingens sind, und erst recht nicht, daß Sie hier in Dingens Bindestrich Lennep sind, da sind die Lenneper sehr empfindlich“. Und dann klärten sie mich nicht nur darüber auf, daß es da in den Zwanziger Jahren eine unsägliche Gebietsreform gegeben habe, unter der heute noch alle litten, sondern auch darüber, daß Lennep schon Hansestadt war, da haben die Menschen in Dingens noch in Höhlen gewohnt! Und das hat mir so gut gefallen, das mit der Hansestadt, daß ich es auch heute noch immer wieder erwähne, weil es wirklich keiner weiß und weil es so einen Spaß macht, dieses Erstaunen in den Gesichtern zu sehen und jeder zweite sagt dann „Aber das liegt doch gar nicht an der Ostsee, oder?“, worauf ich gerne zu antworten pflege „Köln och nit“, weil das ja auch eine Hansestadt war. Gut, solche historisch unbeleckten Leute sprechen ja auch gerne von Dingens statt von Lennep, da machst du nix dran.
 
Ich kam also hierhin und war vom ersten Augenblick an begeistert. Vor allem vom Impetus der Gründungsmitglieder. Alle kamen sie in die Garderobe, alle waren sie voller Optimismus und voller Begeisterung, erklärten mir ihre Ziele und wie wichtig es ist, gerade in Lennep diesen wundervollen Ort – damals sagte man noch Ort und nicht location, das kam erst später und das kam auch nur bei den Leuten, die nicht wissen, daß location von locus kommt! – wiederzubeleben, weil er so harmonisch in diese wunderschöne mittelalterlich-barocke Stadt paßt und weil er so lange brach lag, daß man befürchten mußte, daß er abgerissen werden könnte. Und sie waren so begeistert von ihrem Tun, weil sie wußten, daß es ein einmaliger Ort ist, diese Klosterkirche. Es mag prunkvollere Orte geben, in denen unsereins spielen kann, wat weiß ich: Stadthalle Elberfeld, Bayarena, Petersdom in Rom, um nur einige zu nennen, es gibt keinen innigeren als die Klosterkirche. Ich habe hier sehr unterschiedliche Programme aufgeführt und war und bin fasziniert davon, daß dieser Raum, diese Kirche sich allem anschmiegen kann: sie kann lachen und dröhnen, sie kann die Arme um dich legen und dich trösten, sie kann gespannt leisesten Tönen nachhorchen, sie kann traurig sein. Diese Klosterkirche ist ein Raum, der sich den Seelen öffnet und das ist etwas ganz Seltenes.
Es mag an den Minoriten liegen, es mag daran liegen, daß die Franziskaner hier gewirkt haben, ein Orden, der bis heute hohe Kredite an Glaubwürdigkeit bei uns hat, weil er immer nahe an den Menschen war, hier in Lennep und überall sonst auf der Welt. Der Geist des menschenfreundlichen Revolutionärs Franziskus von Assisi ist ein besonderer Geist: er hat die Umarmung mit den Menschen gesucht um gegen die kalte Arroganz der Macht kämpfen zu können und das ist immer noch der beste Weg, wie ich meine. Das heißt aber auch, daß die Franziskaner eben nicht die fundamentalistischen Eiferer waren, die asketischen Exegeten des Kirchenrechts, die apokalyptischen Vollstrecker menschenfeindlicher Vorschriften. Sie haben nicht die Inquisition getragen, das waren andere. Und erst recht hier im Rheinland, wenn ich Lennep da mal vereinnahmen darf. Es ist ja kein Zufall, daß einer der brillantesten, mutigsten und konsequentesten Gegner der Inquisition und der grauenhaften Hexenprozesse aus dem Rheinland kommt, aus Kaiserswerth: Friedrich Spee. Aber ich schweife ab. Ich wollte damit gesagt haben, daß dieser Klosterkirche hier dieser freundliche, in rechtem Sinne katholische Geist innewohnt, der seine Erbauer, die Franziskaner, erfüllt hat. Und man spürt das heute noch. Und da kenne ich mich aus, kann ich Ihnen sagen, denn ich war acht lange Jahre – in der Zeit zwischen zehn und zwanzig sind acht Jahre eine Ewigkeit – bei Franziskanern in Bozen und sie waren gut zu mir und haben mich gefördert und mir vieles ins Leben mitgegeben. Ihr Meßwein, den wir in der Sakristei geklaut haben, war besser als jeder Wein in den Gasthäusern, weil sie ihn nicht nur für die Messe brauchten, sondern weil er auch schmecken sollte!
 
Ich habe zu Franziskanerkirchen ein ganz besonderes und inniges Verhältnis bekommen und das habe ich heute noch. Selbst wenn ihre Apsis zur Bühne geworden ist wie hier, sie atmen einen menschenfreundlichen Geist: in den Franziskanerkirchen herrscht nicht die kalte Pracht der Macht wie im Kölner Dom oder im Stefansdom in Wien oder in Nôtre Dâme, nicht die Unnahbarkeit der absoluten Autorität Kirche wie im Petersdom – ja, ja, gut, schön sind sie ja, diese Monumente, aber... – in den Franziskanerkirchen lädt die Architektur schon ein zum Plausch mit unserem Herrjott oder zum friedlichen Einnicken, wenn sich die Kommelion wat zieht. Ich habe das immer schon so empfunden: die Franziskanerkirche in Bozen hatte das auch im Gegensatz zur kalten Pfarrkirche in Bruneck, die ich schon als Kind kalt und grauenhaft empfand. Das mag auch an den Patres gelegen haben, in Bozen wie hier auch. Mein Gefühl, als ich dann zum „Soundcheck“ hier auf die Bühne in der Apsis kam, war ein Franziskanerkirchen-Gefühl: absolut vertraut, auch wenn die Architektur eine andere als die der Kirche in Bozen ist, aber der Geist ist derselbe, auch wenn es hier schon lange säkularisiert ist, aber auch die Tatsache, daß hier gefärbt wurde, hat diesen Geist nicht aus den Mauern verdrängen können.
So vieles geht mir im Kopf herum, wenn ich eine Franziskanerkirche betrete und dabei ist es vollkommen egal, ob sie noch in Funktion ist mit Altar und ewigem Licht oder nicht, wie diese hier.
Wenn dann noch dazu kommt, daß der Anstoß zu einer Kirche von einem Drecksack wie Urban VIII. gegeben worden ist, dann ist der historisch interessierte Franziskanerschüler vollends glücklich. Urban VIII hat ja am 11. Juni 1643, was ein Donnerstag war, den Minoriten für 5 Jahre die Pfarrechte und dergleichen mehr erteilt, ausgerechnet er: er hat das Kolosseum freigegeben zum Abbruch und alle Römer habe sich ihre Balkone davon gebaut. Er war ein Barberini und Jurist, ein cleverer Karrierist, der schon beim Studienbeginn klar vor Augen hatte, welche Karriere er einschlagen wollte, einer, der ganz nach oben wollte. Die Antike interessierte ihn nur als geldbringender Steinbruch, so entstand der Spruch: „Quod non fecerunt Barbari, fecerunt Barberini – was die Barbaren nicht schafften, schafften die Barberini“. Wie alle Drecksäcke hat er auch gute Seiten gehabt: er war seit dem Studium ein enger Freund von Galileo Galilei. Den verfolgte die Inquisition und heute ist man sicher, daß er, der Papst, seinem Freund deshalb so zugesetzt hat, seiner Meinung, daß die Erde sich um die Sonne drehe und nicht umgekehrt, abzuschwören, weil er wußte, daß die Inquisition in ihrem geiferndem Eifer Galilei auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. Er war allerdings auch der, der die Magdeburger Protestanten für vogelfrei erklärte, als die Katholiken unter Pappenheim und Tilly im 30jährigen Krieg die Stadt stürmten. Die Folge war, daß 20.000 Menschen vergewaltigt und getötet wurden, die Stadt gebrandschatzt wurde und ganz Europa über dieses Massaker entsetzt war. Er aber brachte in einem Schreiben seine Freude über die Vernichtung des Ketzernestes zum Ausdruck. Egal: er hat den Franziskanern den Weg nach Lennep geebnet und das war natürlich gut so.
So. Jetzt wissen Sie, was mir im Kopf so umgeht, wenn ich von da oben runterkomme und auf die Bühne gehe. Daß das alles wunderbar ist, ist ja keine Frage.
Daß es Menschen gibt, die die Ärmel hochkrempeln und anpacken, die die Fahne der Kunst und der Kleinkunst hochhalten und das in einem Ambiente, ich sagte es bereits, das ein ganz Besonderes ist, ist toll, bewundernswert und jeder Unterstützung würdig. Ich möchte dazu gratulieren, daß das schon 25 Jahre lang funktioniert und ich möchte gerne sagen: „Loht Üch nit jeck maache, von nix und keinem, denn: Lennep ist toll und die Klosterkirche ist toll und das, was hier alles passiert, ist erst recht toll!

Und nächste Woche erzähle ich Ihnen etwas über meine Bozener Kindheits- und Jugenderfahrungen mit den Franziskanern.

In diesem Sinne
 
Ihr
Konrad Beikircher


©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker