Der Zeichner als Erzähler (3)

“Adolf Hitlers Mein Kampf – Gezeichnete Erinnerungen an eine große Zeit” von Kurt Halbritter

von Joachim Klinger

© 1979 Wilhelm Heyne Verlag

Der Zeichner als Erzähler
 
Bildbücher, die ich nicht missen möchte (3)
 
von Joachim Klinger

III
 
“Adolf Hitlers Mein Kampf – Gezeichnete Erinnerungen an eine große Zeit” - von Kurt Halbritter
(Verlag Bärmeier & Nikel Frankfurt a.M. 1968 / Carl Hanser Verlag 1975 / Heyne TB 5564, 1979)
 
Kurt Halbritter, geboren 1924 in Frankfurt a.M., gestorben 1978 in Irland, war ein Zeichner und Karikaturist, der sich einem erstaunlich breiten Spektrum an Themen mit hoher Meisterschaft in Bild und Text widmete. Sein politischer Scharfblick erfaßte aktuelle Tatbestände – z.B. “Disziplin ist alles”, “Die Wacht am Rhein”, “Die freiheitlich rechtliche Grundordnung” -, seine überbordende Phantasie versetzte mit bizarren, monströsen Wesen, Gebilden und Instrumenten in Erstaunen – z.B. “Halbritters Tier- und Pflanzenwelt”, “Halbritters Waffenarsenal”, “Halbritters Buch der Entdeckungen” -, sein Humor fand in “Schmunzelbüchern” wunderbaren und bleibenden Ausdruck – “Rue de Plaisir”, “The Murder Brothers”, “Tagebuch einer Minderjährigen”.
Frivol und charmant zugleich treten uns seine weiblichen Gestalten entgegen, zynisch und doch auch zärtlich sind seine männlichen Grobiane.
 
Das von mir favorisierte Buch sollte politische Pflichtlektüre für deutsche Staatsbürger sein und vom Bundespräsidenten als Geschenk an verdiente Mitmenschen überreicht werden.
Es ist einzigartig in seiner Bedeutung für die Aufklärung über unsere Nazi-Vergangenheit. Kein Dokumentarfilm, keine historische Schilderung mit belegten Fakten, kein detaillierter Vortrag hat je das geleistet (und kann das leisten), was Halbritter gelungen ist.
Worum geht es nämlich in seinem Buch? In Wort und Bild wird gezeigt, wie eine fanatische Ideologie mit den Mitteln der Propaganda, Appellen an dumpfe Instinkte und Ausnutzung primitiver Vorurteile sich in die Hirne und Herzen vieler Menschen frißt, sich wie eine Seuche ausbreitet und eine menschenverachtende Gesinnung produziert. Das Potential an Niedertracht wird genährt und voll ausgeschöpft, das Denunziantentum gefördert. Der miese Charakter feiert Triumphe.
 
Sagt der Geschäftspartner:
            “Ich kann Ihnen jetzt auch nicht mehr helfen, Breitenstein. Am besten Sie verkaufen mir den Laden und warten im Ausland bessere Zeiten ab.”
 
Und ein Schüler zum Lehrer:
“Mein Vater hat mir verboten, neben Jakob Grünbaum zu sitzen.”
 
Ein Junge überrascht seine Familie mit den Worten:
“Ich habe aber in der Schule gesagt, daß Ihr über den Führer schimpft.”
 
Eine Frau fordert ihre Nachbarinnen auf, ihre Witze – natürlich politische! – lauter zu erzählen. Das ist eine bedrohliche Aufforderung. Der politische Witz kann in der Diktatur tödlich wirken – für den Erzähler. Denken wir an Erich Ohser, der schwerhörig war und nur lautstark vorgetragene Witze verstand. Das führte zur Anzeige und zum Tode.

Kurt Halbritter - © Joachim Klinger
 
Gesagt werden muß, daß sich Halbritter wie kaum ein anderer auf die menschliche Physiognomie versteht. Er kann Charakterzüge mit seinem Zeichenstift so konzentriert darstellen, daß der Betrachter keine Deutungsschwierigkeiten hat. Die verkniffene Visage eines widerlichen Bürokraten, die bornierte Dummheit und Brutalität eines Schlägers, die stumpfe Gleichgültigkeit eines Unbeteiligten usw. – Halbritter bannt das alles auf das Blatt seines Zeichenblocks.
 
In der Typen-Charakterisierung ist Kurt Halbritter nach meinem Urteil den meisten Karikaturisten-Kollegen überlegen.
 
 
 

Lesen Sie morgen an dieser Stelle Teil 4 (von insgesamt 10) der neuen Serie von Joachim Klinger