Richard Wagner über die Hintertreppe (1)

Zu seinem 200. Geburtstag

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper
Richard Wagner (1813-1883)
über die Hintertreppe

Zu seinem 200. Geburtstag

von Johannes Vesper
 
Zeit, vor allem Zeit ist für Richard Wagner notwendig. Den ganzen Ring anzuhören, ohne Pause, dauert 13-15 Stunden, je nach Dirigent, und das Lesen der Gesamt-Literatur über RW bei Achtstundentag und Fünftagewoche dauert mehr als 20 Jahre, schreibt Herbert Rosendorfer.
 
Vorab: Der Status des Musikers hat sich in den letzten 300 Jahren erheblich verändert und verbessert. Während in der Mitte des 18. Jahrhunderts Musiker bei Hofe an unterster Stelle neben Bettlern und Schauspielern aufgeführt wurden, organisierten Pop-Musiker 2005 (Geldof und Bono) unter dem Motto „Laßt Armut Geschichte werden“ 10 über die ganze Welt zerstreute Rockkonzerte, wozu sich 3,8 Milliarden Menschen einschalten. Diese Musiker konnten die Finanzminister der G8 Staaten veranlassen, den 18 ärmsten Ländern ihre Schulden zu erlassen und die globale Entwicklungshilfe zu verdoppeln. Heute sagen also die Musici den Weltherrschern, wo es lang geht. Welch ein Weg! Während Mozart 1781 mit einem Fußtritt aus den Diensten des Erzbischofs von Salzburg entfernt und im Armengrab anonym verscharrt wurde, wird Beethoven 1827 schon ganz anders begraben: Die Schulen hatten 3 Tage frei und mehr als 20.000 Trauergäste begleiteten Beethovens Leiche im polierten Eichensarg auf goldenen Stützkugeln zum Währinger Friedhof vor Wien, auf dem Franz Schubert auch beerdigt werden sollte. Seine Beerdigung war also schon ein Ereignis, was sich auch darin manifestiert, daß es ein Bild von dem Trauerzug gibt.

Eine öffentliche Person

Und dann kam Richard Wagner: Er war zu Lebzeiten schon eine öffentliche Person.
 
Zur Eröffnung seiner 1. Bayreuther Festspiele 1876 kommen Kaiser Wilhelm I von Deutschland, der
Kaiser von Brasilien Dom Pedro II, kommen Anton Bruckner, Tschaikowsky, Camille Saint-Saens, Edvard Grieg, viele andere Musiker und Intellektuelle. Auf einer Werbekarte von Liebigs Fleischextrakt ist abgebildet, wie der Kaiser Wilhelm I von dem Musiker Richard Wagner bei seinen Festspielen in Bayreuth begrüßt wird.
 
Aber Wagners Tod und Beerdigung waren erst recht ein Ereignis. Nach seinem Tod am 13. Februar 1882 schrieb Verdi: „Traurig, traurig, Wagner ist tot. Es entschwindet eine große Persönlichkeit! Ein Name, der in der Geschichte der Kunst eine großmächtige Spur hinterläßt“ . Im gläsernen Prunksarg, außen umschlossen von einer Bronzehülle, wurde die Leiche auf einer Totengondel mit Gondelkorso von San Marco zum Bahnhof begleitet. Der schwarz ausgeschlagene Salonwagen für Sarg und Familie wurd an den Schnellzug Venedig-München angehängt und in München empfingen tausende von Wagnerianern im Fackelschein den Zug auf dem Bahnhof. Bei der Ausfahrt des Sonderzuges aus dem Münchener Hauptbahnhof spielte das Orchester Siegfrieds Trauermarsch aus der Götterdämmerung.
In Bayreuth – überall schwarze Fahnen und Glockengeläut aller Kirchen - wurde der Sarg zur Kirche (Anton Bruckner schlug die Orgel. Er hatte die Nachricht des Todes empfangen bei der Komposition des Adagios seiner 7. Symphonie) und dann mit riesigem Gefolge zum Grab im Garten der Villa Wahnfried geleitet. Eine große Marmorplatte ohne Beschriftung deckt das Grab.
Richard Wagner war ein Star des 19. Jahrhunderts.
 

Richard Wagners Grab - Foto © Johannes Vesper
 
Wenige Meter daneben liegt sein Hund Russ begraben: „Hier ruht Russ“. Und mit seinem Hund sind wir beim Menschen Richard Wagner, über den Friedrich Nietzsche schreibt: „Das Leben Richard Wagners hat sehr viel von einer Komödie an sich und zwar von einer merkwürdig grotesken.“ Thomas Mann, der Wagners Werk sehr geschätzt hat, äußert sich zu dem Menschen Richard Wagner durchaus kritisch: „ Ein liebenswerter Mensch, nein das war er nicht. Er war sogar eine unausstehliche Belastung und Herausforderung der Mitwelt. Wagner, das Pumpgenie, der luxusbedürftige Revolutionär, der namenlos unbescheidene, nur von sich erfüllte, ewig monologisierende,...die Welt über alles belehrende Propagandist und Schauspieler seiner selbst“ - (zitiert nach S.O. Müller Richard Wagner und die Deutschen)
 
„Im wunderschönen Monat Mai
kroch RW aus dem Ei.
Ihm wünschen, die zumeist ihn lieben:
wär` er doch besser drin geblieben“
Zu seinem 42. Geburtstag wird sich Richard Wagner mit diesem Gedicht (Heinrich Heine parodierend) gratulieren.
 
Wer ist sein Vater?
 
Aber am 22.05.1813 wird er erst einmal in Leipzig geboren.
1813 war Napoleon auf der Flucht und mit seinen Heeren in der Stadt: 200.000 Soldaten in Leipzig, einer Stadt von damals 32.000 Einwohnern. Und die Alliierten (Preußen, Österreich und Russen) näherten sich mit weiteren 350.000 Soldaten. Vom 16.-19.Oktober tobte die sogenannte Völkerschlacht von Leipzig mit Artilleriebeschuß, Feuersbrünsten, Straßenkämpfen in die Stadt. Am Ende gab es 125.000 tote Soldaten auf den Straßen in Leipzig, und es brach eine Typhusepidemie aus, die zahllose weitere Tote forderte: einer von ihnen war Friedrich Wagner, höherer Polizeibeamter, der Vater Richard Wagners.
 
Die Familie zieht bald nach dem Tod des Vaters1814 nach Dresden um, zu Ludwig Geyer, der die Witwe, also Richard Wagners Mutter inzwischen geheiratet hat. Er war der beste Freund des Vaters gewesen und Schauspieler am Hoftheater in Dresden. Ob Richard Wagner von diesem Ludwig Geyer gezeugt wurde, ist unklar und bleibt ein Problem für ihn sein Leben lang. „Wer ist dein Vater“ wird Parsifal in der Oper gefragt. Siegfried fragt Mime im Ring: „Heraus damit, räudiger Kerl. Wer ist mein Vater?“ Und später fragt sich Siegried: „Wie sah wohl mein Vater aus?“. Jedenfalls bekommt der kleine Richard bald über seinen Stiefvater Beziehungen zum Theater, spielt als Statist, lernt Carl Maria von Weber kennen, der als königlich-sächsischer Hofkapellmeister an der Dresdner Oper wirkt. Als 10jähriger sieht er den Freischütz von C. M. von Weber, hat damit Feuer gefangen und ist dem Theater verfallen. Er bedauert sein gräuliches Klavierspiel - will Klavier spielen können aber nicht lernen - und bekommt Unterricht. So wurde aus ihm dann doch ein passabler, wenn auch kein virtuoser Klavierspieler. Zum Violinspiel hat der junge Richard kein Talent und gibt es nach kurzer Zeit wieder auf. Sein Geigenlehrer wird später zitiert: „Er hatte eine rasche Auffassung, doch er war faul und wollte nicht üben. Er war mein schlechtester Schüler.“
 
Pumpgenie und Schlitzohr

Richards Schwester bekommt ein Engagement am Deutschen Theater in Prag, wo der 13jährige Richard Wagner sie 1826 und 1827 besucht, einmal per Lohnkutsche („diligence“), einmal zu Fuß von Dresden aus mit einem Freund. Das hat ihm gut gefallen und so wandert er, kaum zurück in Dresden, mit Freunden nach Leipzig. Zur Finanzierung des Ausflugs unterschlägt er unmittelbar vor seiner Konfirmation die Kollekte. Ohne diese Aktion des 14jährigen überbewerten zu wollen, dokumentiert sie aber erstmalig sein außerordentlich problematisches Verhältnis zum Geld. „Richard Wagner wurde zu einem Pumpgenie von hohen Gnaden und diabolischer Schlitzohrigkeit, trickreich, schamlos mitunter und bisweilen agierte er am Rande der Legalität“ schreibt sein Biograph Walter Hansen (S. 61). Die Familie Wagner wohnt inzwischen wieder in Leipzig, wo seine Schwester den reichen Verlagsbuchhändler Brockhaus geheiratet hat. Dort erzählt ihm sein Onkel Adolf von der deutschen Klassik, von Shakespeare und Dante - und er schreibt als 16jähriger seine erste Tragödie: „Leubold und Adelaide“. Das Motto des Titelhelden dieses ersten Dramas Richards „Nicht weinen, morden nur, nur morden!“ weckt Erwartungen für zukünftige Werke des Autors. Am Ende liegen 42 Tote auf der Bühne. Der junge Richard würde dieses
 
Drama gerne mit Musik aufführen und so entwickelt der 16jährige eine erste Vorstellung vom Musikdrama: Text und Musik aus einer Hand. Als Jugendlicher ständig in allen Konzerten, hörte er Beethovens 7. und Beethovens 9. Symphonie, Schlüsselerlebnisse im Hinblick auf seine Entwicklung zum Musiker.

Wilhelmine Schröder-Devrient
Im April 1829 erlebt er Wilhelmine Schröder-Devrient, 26 Jahre alt, Primadonna, als Leonore im Fidelio. Er ist begeistert und schreibt ihr als 16jähriger, der er war, unmittelbar nach der Aufführung in einem Brief, daß sein Leben durch diese Aufführung seine Bedeutung erhalten habe. Sie habe ihn durch diese Aufführung zu dem gemacht, was er schwöre, werden zu wollen. Die Schule - er besuchte inzwischen das Leipziger Nicolai Gymnasium - nimmt der junge Wagner nicht ernst, liest unter der Bank Goethes Faust, schreibt lieber Noten ab und bemüht sich um Kompositionslehre.
1830 schwappt die Juli-Revolution aus Paris auch nach Leipzig, und Richard, unterwegs in Studentenkreisen, beteiligt sich daran mit der Erstürmung und Besetzung eines vom Magistrat protegierten Bordells.  
 
Fiasko mit Paukenschlag

Im gleichen Jahr bietet der inzwischen 17jährige dem Leipziger Theater seine erste Ouvertüre, die Paukenschlag-Ouvertüre, zur Uraufführung an. Das Orchester lehnt die Aufführung der „wahnsinnigen Musik“ ab. Gleichwohl erfolgt am Heiligen Abend 1830 die erste öffentliche Aufführung eines Musikstückes von Richard Wagner. Ein Fiasko. Das Publikum lacht nur. Das Debüt als Komponist ist dem 17jährigen gründlich mißlungen.
 
Nach diesem verunglückten Karrierestart nimmt Richard Wagner Kompositionsunterricht beim damaligen Thomaskantor Theodor Weinlich. Dieser gilt als der beste Musikpädagoge weit und breit und nimmt ihn als Schüler nur unter der Bedingung an, daß er sechs Monate überhaupt nichts komponiert. Bei ihm werden Kontrapunkt und Kompositionstechnik gepaukt. Richard komponiert eine weitere Ouvertüre (d-moll), die auf Vorschlag seines Lehrers genau ein Jahr nach der Blamage mit dem Paukenschlag im Leipziger Theater und einige Wochen darauf auch im Gewandhaus aufgeführt und vom Publikum akzeptiert wird. Eine erste Klaviersonate, seine Sonate in B-Dur widmet er seinem Lehrer Weinlich hochachtungsvoll. Sie wird bei Breitkopf & Härtel gedruckt. Nach etwa einem Jahr solchen Kompositionsunterrichts bricht Theodor Weinlich seinen Unterricht ab, sagt zu Richard, daß er ihm nichts mehr beibringen könne. Er könne für das Vergnügen ihn unterrichtet zu haben, auch kein Geld verlangen, und die Hoffnung auf den Erfolg und die Entwicklung dieses Schülers sei ihm ausreichende Entlohnung.
 
Jenny, Therese, Friederike, Minna

Auf der Fahrt nach Brünn, wohin er einen adligen polnischen Freiheitskämpfer begleitet, verliebt sich Richard in Jenny, die Tochter eines tschechischen Grafen, die auf einer Burg in der Nähe von Prag lebt, der er immerhin Klavierunterricht geben darf, die aber sonst überhaupt nichts von ihm wissen will. Über die in Brünn ausgebrochene Cholera schreibt Richard „ Ich vergrub mich angekleidet ins Bett und erlebte noch einmal alles, was ich je in meiner Knabenzeit an Gespensterfurcht erlitten habe. Die Cholera stand leibhaftig vor mir; ich sah sie und konnte sie mit Händen greifen. Sie kam zu mir ins Bett (die Cholera nicht Jenny), umarmte mich, meine Glieder erstarrten zu Eis. Ich fühlte mich tot bis ans Herz hinan.“ Er reist sofort ab nach Wien, um sich von den Seuchengefahren im Theater und unter Johann Strauß´ Klängen zu erholen.
Richard Wagners zweite Liebe – er war inzwischen Chordirektor und Repetitor am Würzburger Theater mit einer Gage von umgerechnet 140 € im Monat (WH 50) trifft Therese Ringelmann, eine Sängerin im dortigen Opernchor, die aus bescheidenen Verhältnissen stammend – der Vater war Totengräber -, seinen gesellschaftlichen Ansprüchen wohl nicht genügte. So spannt der 20jährige Chordirektor „mit List, Charme und Frankenwein“ dem 1. Oboisten des Orchesters dessen Verlobte Friederike Galvani aus, eine kleine Sängerin mit schwarzen Augen. Hier in Würzburg bei fränkischen Wein und fränkischem Bier, bei Ausflügen und Wanderungen am Main, zeitweise auf Wiesen in Friederikes Armen wird seine erste Oper, „Die Feen“ vollendet. Sie wird erst nach seinem Tode 1888 in München uraufgeführt (inszeniert von Richard Strauss).
Nach einer sechswöchigen Böhmenreise 1834 mit seinem Freund Theodor Apel – der Sohn des Schriftstellers August Apel, des Autors vieler Gespenster-Geschichten und des Librettos des „Freischütz“ - zurück in Leipzig, findet er das Angebot vor, Musikdirektor des Magdeburger Theaters werden. Das Magdeburger Theater gastierte gerade in Bad Lauchstädt, im 1802 von Goethe erbauten Holztheater, einem architektonischem kleinen Juwel, welches noch heute seinen Zauber entfaltet. Sofort fährt er in der Lohnkutsche hin, muß zwei Tage später den Don Giovanni ohne jede Probe dirigieren, weil die Musiker keine Lust zu Proben hatten, und verliebt sich sofort in Minna

Minna Planer - Alex. v. Otterstedt pinx.
Planer, die an der Magdeburger Oper das Fach der Liebhaberin einnimmt. Sie ist fünf Jahre älter, wurde mit 15 Jahren geschwängert, gebar eine Tochter, die offiziell als ihre Schwester großgezogen wurde, und läßt den über beide Ohren verliebten Richard Wagner erst mal hängen. Der entwickelt daraufhin eine Gesichtsrose, unter der er in Stress-Situationen auch später immer wieder leiden wird, und mietet eine teure Wohnung. Er läßt sich Anzüge schneidern, sodaß seine Schulden logarithmisch wachsen und die Gage überhaupt nicht ausreicht, niemals ausreichen kann. Seinen Freund Apel pumpt er an, verspricht ihm Sängerinnen aus dem Theater-Chor, bietet ihm sogar seine Freundin Minna an, die davon natürlich nichts ahnt. Apel kommt, Richard ist erleichtert und gibt ihm zu Ehren im teuersten Gasthof von Bad Lauchstädt ein großes Fest für das ganze Ensemble, in dessen Verlauf infolge der ausgelassen Stimmung der Feiernden der große Kachelofen des Restaurants völlig zu Bruch ging. Sein Freund lehnt aber den erhofften Kredit ab. Im Frühjahr 1835 werden Minna und Richard ein Paar, indem sie ihn über Nacht bei sich behält, als er völlig betrunken nach einem Abend mit Freunden bei ihr einfällt.


Lesen Sie am nächsten Montag hier, wie es danach mit Wagnern weiterging.
 Redaktion: Frank Becker