Japanische Novelle

von Victor Auburtin

Foto © Martin Woike

Japanische Novelle
 
Der junge Mikoko ging mit seiner Freundin Makika in den Frühlingswald. Der Flieder blühte und die Nachtigall sang.
„Jetzt müßte noch der Kuckuck rufen“, sagte die Freundin Makika.
„Wenn der Kuckuck ruft“, antwortete der junge Mikoko, „will ich ihn fragen, in welchem Jahre ich sterben werde.“
Und der Kuckuck fing an und rief zweimal.
„Ich werde schon im nächsten Jahre sterben“, sagte der junge Mikoko.
„Wenn der Kuckuck noch einmal ruft“, sagte seine Freundin Makika, „will ich ihn fragen, wieviel Kinder ich bekommen werde.“
Und der Kuckuck fing wieder an und rief siebenundzwanzigmal.
„Hei“, rief Makika, „ich werde siebenundzwanzig Kinder bekommen, das ist ganz vorzüglich. Ich werde gesegnet sein unter den gesegneten Müttern Nippons.“
Aber der junge Mikoko rechnete aus, daß, wenn er selbst schon im nächsten Jahr stürbe, unter den siebenundzwanzig Kindern Makikas nur zwei oder beim besten Willen nur drei von ihm, die übrigen fünfundzwanzig beziehungsweise vierundzwanzig hingegen von einem anderen herrühren müßten.
Da wurde er sehr traurig.
Und er setzte sich abseits hinter den blühenden Fliederbusch und schnitt sich, wie das bekanntlich in Japan üblich ist, den Bauch auf.


Victor Auburtin