Jalta-Konferenz als Polit-Komödie

Am Vorabend der Bundestagswahl im Schauspielhaus Düsseldorf: „Jalta“ von Lucas Svensson (Uraufführung)

von Andreas Rehnolt

Jalta-Konferenz als Polit-Komödie
 
Am Vorabend der Bundestagswahl
im Schauspielhaus Düsseldorf:
„Jalta“ von Lucas Svensson (Uraufführung)
 
   
Düsseldorf - Mit einem Hoch auf die Demokratie hat am Vorabend der Bundestagswahl die Polit-Komödie "Jalta" am Samstag im Schauspielhaus Düsseldorf als Uraufführung ihre Premiere erlebt. "Wenn Demokratie bedeutet, daß der Wähler ohne Angst und ohne Bedrohung seinen Wahlzettel in die Urne stecken kann, dann stehe ich für Demokratie“, sagt zu Beginn der leider deutlich überlangen Inszenierung des Kurz-Intendanten und jetzigen Regisseurs Staffan Valdemar Holm eine wunderbare Imogen Kogge als versoffen-genialer Winston Churchill.
 
Knapp drei Stunden später zitiert Churchills Adjutant Smith (Betty Freudenberg) diese Sätze noch einmal. Kurz darauf trällert Harry (Xenia Noetzelmann), der Adjutant des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt (Karin Pfammatter), den an allen Fronten gesungenen Kriegs-Schlager "Lili Marleen". Das Stück stammt übrigens aus der Feder des schwedischen Autors Lucas Svensson, der sich die Konferenz in Jalta vom Februar 1945 als Ausgangspunkt für seine, ja, Komödie ausgesucht hat. Dritte Person der Allianz gegen Hitler ist Stalin, den die schwedische Schauspielerin Stina Ekblad teils knallhart, teils schleimig und sich verrenkend hervorragend gibt. Ihm/ihr hat der Autor mit Lavrentij (Elena Schmidt) einen fast hündisch ergebenen Adjutanten zur Seite gestellt.
 
Einzige männliche Person in dieser Jalta-Konferenz ist der altgediente Düsseldorfer Schauspieler Winfried Küppers, der als Kellner mal Blumen-Arrangements, mal Schaumwein oder den Totenschädel eines Kriegsopfers serviert und sich ansonsten im Auf- und Zuziehen der Vorhänge vor den Bühnen-Fenstern betätigt. Der Verhandlungssaal im Großen Haus in Düsseldorf ist völlig in grau gehalten, ebenso die Kostüme der sieben Akteure (Bühne und Kostüm: Bente Lykke Möller). Eine Sofagarnitur, zwei Tische mit mehreren Stühlen für die Konferenz-Teilnehmer und ein Globus, der von den drei Alliierten immer mal wieder - wie im Chaplin-Film "Der große Diktator" angestoßen oder fortgerollt wird.
Churchill ist sicherlich die bestechendste Figur dieses Damen-Sextetts. Wie Imogen Kogge hüftbetont sich ein ums andere Mal eine Zigarre ansteckt, sich von Adjutant Smith mit den Worten "Ist es schon wieder so weit?" den nächsten Whiskey einschenken läßt, sich bei Schaumwein und Austern über die Erschaffung der Intelligenz ausläßt und stets betont, daß der Krieg der Normalzustand und der Friede lediglich eine Unterbrechung darstellt - das packt die Zuschauer. Das sorgt für Lacher zwischendurch und manchmal spürt man allerdings auch, wie einem besagter Lacher im Halse stecken bleibt.
 
Wenn das Trio noch vor dem endgültigen Sieg über Hitler-Deutschland dessen Reich aufteilen will, wie die westlichen Alliierten betonten, daß die Zahl der deutschen Toten sich bis Kriegsende locker um ein paar Millionen steigern ließe und Leipzig doch "nur aus moralischen Gründen bombardiert" würde, dann glaubt man nicht mehr so ganz an die Komödie. Und Churchill betont mehrfach - ziemlich angetrunken - daß er "vom Krieg gute Laune bekommt". Roosevelts Adjutant Harry - Bomberpilot - meint dann auch, das Fliegen eines Bombers sei "wie ein Sonntagsspaziergang".
Im Verlauf der Konferenz schwärmt der an den Rollstuhl gefesselte - leicht debil wirkende - Roosevelt von einem frühen Besuch in Bayern mit Hefeweizenbier, Brezeln und Lederhosen, hat dann aber Probleme, sich auf der Landkarte des damaligen Deutschland zurecht zu finden. Rußland ist für eine Zerstückelung Deutschlands, Churchill will den Kriegsgegner in fünf Teile zerlegen und Roosevelt schlägt gar eine Aufteilung in 107 Stücke vor. Zwischendurch labt sich das Trio an Kaviar, weil der Hummer mangels Gas in der Küche nicht zubereitet werden kann, und der Zuschauer bekommt Lust, an dieser Konferenz - wenn auch nur als journalistischer Beobachter mit Büffet-Beteiligung - teilzunehmen.
 
Doch die Pause verhindert das. Nach 15 Minuten sind bereits, zumindest in den ersten 10 Reihen des Schauspielhauses, deutliche Zuschauerlücken zu verzeichnen. Manche Senioren unter den Premierengästen gefallen sich darin, mit ihren Sitznachbarn selbst gemachte Erfahrungen im letzten Jahr des 2. Weltkriegs auszutauschen. Das Spiel auf der Bühne fällt dann ab, fängt an, sich zu ziehen. Nochmal werden die Vorhänge aufgezogen. Ein Totenkopf fängt an zu brüllen und Stalin in Entsetzen zu versetzen. Churchill beklagt sich über die schlechte Qualität des russischen Schaumweins, Roosevelt schaut sich den Zeichentrickfilm "Dumbo - Der fliegende Elefant" an, und Stalin gesteht seinem Adjutanten, daß er dessen Frau hat umbringen lassen.
Warum Churchills Adjutant dann auch noch halbnackt auf der Bühne auftaucht und sich ein rosafarbenes Ballkleid überzieht, bleibt ebenso unerklärlich wie das lesbische oder schwule Verhalten von Stalins Adjutanten, der unter das besagte Ballkleid kriecht und Smith nicht mehr von der Seite geht. Ach ja, natürlich geht es in "Jalta" auch und vor allem um Polen. Die westlichen Alliierten wollen eine Demokratie nach ihrem Muster, Stalin will vielmehr einen verläßlichen Vasallen als Puffer zwischen dem Westen und dem Osten, und natürlich setzt er sich gegenüber dem meist angetrunkenen Churchill und dem meist debilen Roosevelt durch. Nicht wirklich als Alliierter in Verhandlungen, vielmehr als listiger Stratege überrumpelt er seine Partner und läßt sie den Vertrag von Jalta unterzeichnen.
 
Hervorragend gespielt von allen sieben Akteuren auf der Bühne. Leider deutlich zu lang für einen Politik-Theaterabend. Und sicherlich kaum für eine Zielgruppe unter 60 plus geeignet. Der Applaus war wenn auch nicht frenetisch, so aber ehrlich und für Düsseldorfer Verhältnisse durchaus lang anhaltend.
 
Die nächsten Aufführungstermine sind: 26., 27. 29. September