Von der Wupper in die Welt

Reinhold Tigges – „Reisen ist Leben“

von Frank Becker

Von der Wupper in die Welt

Wie kaum ein zweiter Name steht der des Wuppertaler Reise-Pioniers Dr. Hubert Tigges für die Verwirklichung des Traums vom Reisen. Die Geschichte seines Vaters Dr. Hubert Tigges (1895 – 1971) und seines Unternehmens hat sein Sohn und Nachfolger Reinhold Tigges 2001 aufgezeichnet.

1928. Reisegruppen aus Elberfeld erreichen mit der Eisenbahn Paris, die Schweiz, Oberitalien und Venedig. Mit derbem Schuhwerk, wetterfester Kleidung und Kochgeschirr ausgerüstet erinnern sie eher an Pfadfinder als an die Sandalen tragenden Pauschalreisenden von heute. Mehr Kameraden als Kunden erobern sie Europa mit den „Gemeinschaftsfahrten Dr. Tigges“ aus der Gerstenstraße in der Elberfelder Südstadt. Ein deutscher Pionier der ersten Stunde im Geiste des „Erfinders“ der Gesellschaftsreisen Thomas Cook, wurzelte Hubert Tigges, der als junger Mann vom Sauerland in die damals blühende Stadt an der Wupper gekommen war, in der Wandervogel-Bewegung, die schon zu Zeiten starker nationalistischer Ausrichtung den europäischen Gedanken propagierte: „Deutschland sei unsere Heimat und Europa unser Vaterland“, war seine Devise. Diesem Gedanken ist er zeitlebens gefolgt.

Den Europagedanken verbreitete der promovierte Volkswirtschaftler, vom 1. Weltkrieg desillusioniert, in den 20er Jahren als Dozent rheinischer Volkshochschulen, bevor er begann, dieses Europa er-fahr-bar zu machen. Wie viele Lebensbereiche mußten seine weltoffenen Wanderfahrten per Bahn und später per Bus nach Hoffnung machenden Anfängen (Italien, Malta, Libyen, Nordafrika und die europäischen Mittelmeerinseln gehörten ebenso zum Programm wie die Schweiz, Prag, Wien und Böhmen) durch die Politik des 3. Reichs eine herbe Zäsur hinnehmen. Zynisch formuliert: Für „Gesellschaftsreisen“ war von 1939-1945 die Wehrmacht zuständig.

Nach dem zweiten Weltkrieg, den Hubert Tigges in einem Versteck beendete, um der Gefangenschaft zu entgehen, hatte er wie alle Deutschen einen Neuanfang in einem aller Ordnung beraubten Land zu machen. Die Familie wurde vom Land zurück nach Wuppertal geholt. An Reisen war vorerst nicht zu denken. Aber ein länger gehegter Plan kam zum Zug: Mit dem 1946 gegründeten Wuppertaler Marées-Verlag und Autoren wie Heine, Shakespeare, Hölderlin, und Humboldt, sowie dem „Hausschriftsteller“ Gerhard Nebel stillte er den Bildungshunger nach 12 Jahren Diktatur. Natürlich gehört an den Anfang eine Novellen-Sammlung Eichendorffs mit dem „Taugenichts“, der singt: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“.

Und so kam es auch bald wieder. Tigges baute in der Elberfelder Mozartstraße ein neues Reiseunternehmen auf, das ab 1948 per Bus der Italiensehnsucht der Deutschen gerecht wurde, bald Skandinavien bereiste, Mallorca entdeckte und schließlich nach Europa die ganze Welt umspannte. Seinen Ruhestand hat Hubert Tigges nicht genießen können. Als er 71 Jahre alt war, wurde er bei einem Spaziergang tödlich überfahren. Er hinterließ ein florierendes Unternehmen in der Briller Str. 181, das später mit der TUI verschmolzen wurde.

Reinhold Tigges hat die abenteuerliche und anekdotenreiche Lebensgeschichte seines Vaters sehr bildhaft und ungeschminkt auf 261 Seiten erzählt. Das Buch ist 2001 im Peter Hammer Verlag erschienen und mittlerweile vergriffen. Eine Suche im Online- Antiquariat lohnt. Dort finden sich bei verschiedenen Anbietern noch etliche Exemplare.
 
Reinhold Tigges – „Reisen ist Leben“
© 2001 Peter Hammer Verlag, 261 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
(beim Verlag vergriffen - aber in Online-Antiquariaten ab 1,- € zu finden)