Alles ist erleuchtet

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Alles ist erleuchtet
(Jonathan Safran Foer)
 
Jedem, der in der österreich-ungarischen Tradition groß geworden ist, oder dem diese Welt nicht fremd ist, ist Lemberg ein Begriff. Jedem, der im zaristischen Rußland groß geworden ist, ebenfalls. Hier war Galizien, hier war eine unglaublich eigenständige Kultur, hier waren die galizischen und ost-galizischen Juden, die im Städel ihr scheinbar kleinkariertes Leben lebten, hier war das, was man als den wirklichen ‚melting pot’ bezeichnen könnte, ohne den New York nicht New York wäre, Wien nicht Wien gewesen wäre und Petersburg nicht Petersburg (um nur die wichtigsten zu nennen). Die Geschichte des Einflusses von Lemberg auf die Metropolen des XX. Jahrhunderts ist noch nicht geschrieben worden und es wird höchste Zeit, es zu tun. Klezmer, „Wenn ich einmal reich wär“, Joseph Roth, die Straße nach Berestechko (DAS Symbol für den Weg in die Welt und den Reichtum, an der der größte jiddische Friedhof der Welt liegt), wo soll ich anfangen, wo soll ich aufhören? Lemberg ist die Rache der Juden für ihre jahrhundertelange Verfolgung: von hier aus haben ihre Ideen Raum gegriffen, von hier aus hat die jiddische Welt die übrige Welt erobert, von hier aus sind die kleinen jiddischen Händler und Weltversteher zu Woody Allen, Tevje oder Jascha Heifetz geworden. Hier hat der subtilste Witz der Welt seine Wurzeln, seinen Humus, hier, in der Ärmlichkeit dieser Stadt an der Grenze des riesigen Kaiserreichs Österreich-Ungarn zum Nirgendwo (wobei die Frage bleibt, auf welcher Seite denn as Nirgendwo liegt!). Mussorgski muß an Lemberg gedacht haben, als er in den Bildern einer Ausstellung die unglaubliche Szene „Samuel Goldenberg und Schmuyle“ in Musik gesetzt hat (oder Hartmann, um dessen Bilder sich das Werk dreht, war dort, als er das gemalt hat). Zurück zum Witz: ohne Lemberg hätte die grandiose Sammlung von Salcia Landmann („der jüdische Witz“) niemals zustande kommen können. Zwei köstliche Beispiele:
»Ein Jude und ein Offizier sitzen im Zug; der Jude ißt einen Hering. „Sag, Jud, warum seid ihr so schlau?“ „Das ist ganz einfach, Herr Offizier, wenn wir einen Hering essen, verzehren wir auch die Gräten mit.“ Der Offizier kauft dem Juden für einen Taler die Gräten ab und würgt sie herunter. Nach einer Weile sagt er: „Jud, Du hast mich beschissen. Für einen Taler hätte ich mir drei ganze Heringe kaufen können!“ „Seht ihr, Herr Offizier, es wirkt schon!“
Und:
Kohn beklagt sich bei Grün: „Meine Frau, die red' und red' und red', ich werd noch ganz meschugge“. „Was red' sie denn?“. „Nu', das sagt sie nicht.“
 
In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker