Über allen Gipfeln ist Ruh´

Thomas Freitag und der kaltwütige Herr Schüttlöffel

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Über allen Gipfeln ist Ruh´
 
Thomas Freitag durchmißt scharfzüngig
die Niederungen deutscher Kultur
 
 
Mit seinem aktuellen, nicht um jeden Preis à jour gebrachten Programm „Der kaltwütige Herr Schüttlöffel“ knüpft Thomas Freitag feinsinnig an die großen Zeiten und die Hohe Schule des literarischen deutschen Kabaretts an, wie es Kay und Lore Lorentz 1947 in ihrem „Kom(m)ödchen“ aus der Taufe gehoben hatten. Freitag, der dort lange Ensemblemitglied war und seither mit treffsicheren Solo-Programmen die Säle füllt, hatte auch am vergangenen Mittwoch in der Remscheider Klosterkirche volles Haus. Thomas Freitag zeigt, wie und vor allem daß man mit der Realität besseres Kabarett machen kann als mit Fiktion. In der Figur des seine Bücherei vor der Schließung bewahren wollenden Bibliothekars Schüttlöffel, in den Masken von Karl Marx, des Akademie-Affen Kafkas, des über den Verfall der Pommes-Kultur raisonnierenden Pommesbuden-Betreibers Sigi und eines deftigen Josef Filser des 21. Jahrhunderts tischt er erstaunliche Fakten zu Bildung, Politik und Moral auf, die geeignet sind, das Bild einer geordneten Republik ins Wanken zu bringen.
 
Gegen Banken und Billigflieger, Politik und Pseudo-Philosophie schießt er seine Pfeile ab, von denen er einen ordentlichen Köcher voll mitgebracht hat. Frisch und eloquent ist das, Freitag scheint besser in Form zu sein denn je und ist bissig wie stets, wenn er in Sachen Banken und Moral deutliche Parallelen zu Bordellen sieht, den Nutzen Klaus Wowereits für Berlin mit dem von Cindy aus Marzahn gleichsetzt, zu Richard David Precht sagt, er sei für die Philosophie, was die Alliierten für Dresden waren oder zu Ursula von der Leyens Seiltanz zwischen Familienfreundlichkeit der Bundeswehr und Auslandseinsätzen fragt: „Greifen wir jetzt Legoland an?“. Sein Liebling ist nach wie vor Mutti Merkel: „Nette Frau, aber was macht die beruflich?“
 
Freitag hält ein eindrucksvolles Plädoyer gegen niedrige Konsumentenpreise durch Ausbeutung von Menschen und Ressourcen, hechelt punktgenau die Ministerriege durch, verzichtet auf allzu viel Edathy und gänzlich auf größenwahnsinnig Bischöfe und prominente Steuerbetrüger, schießt zu billig gegen Thilo Sarrazin, mischt aber mit literarischen Zitaten von Marx bis Moses, Shakespeare bis Schiller, von Goethe, Rilke (allerdings ohne die erhellende Zeile „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr…“) und Kafka intellektuellen Anspruch mit publikumswirksamen Pointen. Es ist ein moralisches Programm, dessen Konsum den Blick für Wirklichkeiten schärft. Kabinettstückchen ganz zu Beginn sind ein Exkurs über den Mißbrauch des Ausrufezeichens und der Sprachvergleich zwischen der Schlegel/Tieck-Fassung des Thybalt-Monologs in Shakespeares „Romeo und Julia“ mit dem heutigen Straßenjargon: „Isch mach disch Krankenhaus.“


Foto © Frank Becker
 
Wenn Thomas Freitag allerdings mit dem 5. Buch Mose, Kapitel 15, 1+2 die Bibel als Ratgeber für die EU-Finanzpolitik gegenüber Griechenland und der Dritten Welt heranzieht, liegt er zunächst scheinbar gar nicht so schlecht: „Über sieben Jahre sollst du ein Erlaßjahr halten. Also soll´s aber zugehen mit dem Erlaßjahr: Wenn einer seinem Nächsten etwas borgte, der soll´s ihm erlassen, und soll´s nicht einmahnen von seinem Nächsten oder von seinem Bruder, denn es heißt das Erlaßjahr dem HErrn.“ Man muß dort aber weiterlesen, heißt es doch in Vers 3: „Von einem Fremden magst du es einmahnen; aber dem, der dein Bruder ist, sollst du es erlassen“ und in Vers 6 heißt es weiter: „Denn der HErr, dein Gott, wird dich segnen, wie er dir verheißen hat; so wirst du vielen Völkern leihen, und du wirst von niemandem borgen; du wirst über viele Völker herrschen, und über dich wird niemand herrschen.“ – Also aufgepaßt bei Bibelzitaten!

Mehr über Thomas Freitag in den Musenblättern hier.