Alles auf altmodische Art

Feridun Zaigmolu und „Isabel“

von Jürgen Kasten

Isabel
 
Wuppertaler Literatur Biennale 2014
Unterwegs nach Europa
 
 
Der dritte Tag des Festivals. Es läuft bestens. Bisher habe ich nur volle Säle gesehen. Für die 51 Autoren aus 19 Ländern sind 16 unterschiedliche Orte vorgesehen. Dieser Abend des 23. Mai gehörte Feridun Zaimoglu im Café Ada. Ob er zu den Autoren aus den 18 anderen Ländern gezählt wurde, weiß ich nicht. Er hätte sich auch dagegen verwahrt, denn er ist ein deutscher Autor (und auch ein anerkannter bildender Künstler) mit Leib und Seele, ein Deutscher durch und durch, inklusive bunter Gartenzwerge, die sein Wohnzimmer in Kiel zieren.
Letzteres mag man sich kaum vorstellen, wenn man ihn so ansieht: Schwarze Klamotten, Lederjacke, dicke lange Kette, die seine Geldbörse sichert, silberberingte Finger, Handgelenkschmuck und Halskette, dazu ein verschmitztes Lächeln, das er offen dem Publikum bietet. Mit seinen „über alles geliebten Eltern“ kam er 1965 einjährig aus Anatolien nach München, wuchs dort auf, übersiedelte 1985 nach Berlin, lebt jetzt in Kiel, weil es „nichts schöneres gibt, als eine steife Brise und Eiskristalle in der Fresse“.
 
Seit er denken kann, denkt er Deutsch, schreibt ausschließlich in Deutsch, bisher zig Romane, Theaterstücke, Erzählungen,

Diana Zulfoghari - Foto © Jürgen Kasten
politische Aufsätze. Übersetzt wurden seine Werke in viele Sprachen, sogar ins Chinesische und Arabische. Er selbst tut sich mit Fremdsprachen schwer, erhielt gleichwohl neben anderen Preisen ein Stipendiat nach Rom in die „Villa Massimo“, wo ihn sogleich das Heimweh plagte. Bei seinem Zuspruch, vor allem in Europa, fiele es ihm wohl leicht, sich als Europäer zu bezeichnen, mutmaßte Diana Zulfoghari. Sie, selber Deutsche mit „MH“ (Migrationshintergrund), Rundfunkjournalistin, moderierte den Abend und hatte die Antwort schon parat. Zaimoglu aber schränkte ein: Das eine schließe das andere ja nicht aus. Zuallererst sei er Deutscher, das habe er sich schwer erkämpft, dann erst Europäer. Es gäbe Leute, die nennen sich Kosmopoliten. Das finde er albern. „Ich bin froh, hier zu sein. Der Norden Deutschlands ist meine Heimat“, sagte Zaimoglu.
Ihrem Gesichtsausdruck nach traf Zaimoglu mit dieser Aussage nicht die Meinung der Moderatorin. Sie hat andere Erfahrungswerte. Bei der ersten Biennale war Diana Zulfoghari auch dabei. Damals erzählte sie von den Schwierigkeiten einer Deutschen mit Migrationshintergrund, sich hier zu integrieren. Doch das ist ein anderes Thema. Zaimoglu sagte im weiteren Verlauf des Abends, daß es ihn selbst dann nicht kratze, wenn ihn nach einer Lesung in einer Provinzstadt eine Dame, die sich in eine Lesung verlaufen habe, anspreche und mit tröstender Stimme sage, daß er schön schreibe, obwohl er doch „nur“ ein Türke sei.
 
Apropos lesen: Feridun Zaigmolu las aus seinem neuen Roman „Isabel“: „Männer ohne Land. Frauen ohne Himmel. Zeit nach den Exzessen. Aufgebrauchtes, aufgesogenes Licht – Schluß.“ Der Abschiedsbrief Isabels an ihren Freund, den sie dann doch zerreißt. Isabel zieht aus, will Ruhe haben, sich zurück ziehen, nichts mehr mit Männern zu tun haben, will sich ganz reduzieren, verschwinden. Kurze knappe Sätze, lakonisch, poetisch. Sätze wie: „Liebende lagen wie Leichname nebeneinander.“
Auf dem Weg, ihr Leben neu zu entwerfen, trifft Isabel auf Menschen, die es wie sie, kreativ und motiviert nach Berlin zog und in der Armut landen ließ. Auf ihrem „Rückzugsweg“ trifft sie auch auf Marcus, einem Kriegsheimkehrer aus dem Kosovo. Es verändert ihrer beiden Leben und führt sie bedrohlich in Marcus Vergangenheit.
Zaimoglu erzählt damit auch aus eigener Erfahrung. Er habe lange gebraucht, diesen Roman fertig zu schreiben, habe 12 Monate benötigt, um sich in die Figur Isabel reinzufinden. Es sei nötig gewesen, zu leiden, zu hungern (15 kg habe er dabei abgenommen), habe sich dabei nicht selbst verwirklichen wollen, sondern wollte zerstören, auslöschen, bis er Isabel war.
Das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Faszinierend auch sein Lesen, vorgetragen mit heiserer, erotischer Stimme (man verzeihe mir diesen Ausdruck), die den Saal knistern ließ.
 

Feridun Zaimoglu - Foto © Jürgen Kasten

Feridun Zaimoglu stellte sich abschließend Fragen des Publikums. So ein Schreibprozeß schlauche. Danach brauche er lange Pausen, male, versuche wieder runterzukommen, bis die Idee zu etwas Neuem entstehe. Das brauche seine Zeit. Er besitze keinen PC, schreibe auf einer alten Elektrischen, recherchiere ausführlich vor Ort, benutze Nachschlagewerke, alles auf altmodische Art und Weise, sagte er schmunzelnd.
Ein beeindruckender Mensch und Schriftsteller. Dem Applaus nach sah es das Publikum genauso.
Die Biennale geht weiter. Karten und Programm unter www.wuppertaler-literatur-biennale.de
 
„Isabel“ ist 2014 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Hardcover mit Schutzumschlag, 237 Seiten, ISBN: 978-3-462-04607-6, € 18,99, € 19,60 (A), sFr. 26,80 (CH).