Auf den Spuren der Madame Bovary

Ein literarischer Reisebericht

von Jörg Aufenanger

Galerie Bovary - © OT de Ry-Les 3 Vallées.

Auf den Spuren der
Madame Bovary

 

Warum immer nur den Spuren eines Goethe, Schiller oder anderen Dichters folgen, wo diese doch Figuren geschaffen haben, die dem Leser mehr am Herzen liegen als deren Erfinder? Das Schicksal der Emma Bovary, das Gustave Flaubert in seinem Roman erzählt, hat Generationen von Lesern und Kinobesuchern gerührt, hat sie Tränen gekostet in den Lese- und Kinosesseln.

Im Herzen der Normandie hat Madame Bovary gelebt, und die kleine Stadt Ry feiert das Jahr über seine berühmteste Bürgerin so, als hätte sie wirklich gelebt. Nur eine gute Stunde haben wir von Paris aus in Richtung Norden gebraucht, um dort anzukommen, haben im örtlichen „Office de Tourisme“ an der Place Flaubert einen Plan erstanden, der den „Parcours Emma Bovary“ beschreibt. Wer sich lieber einer Gruppe anschließt, für den organisiert das Fremdenverkehrsamt Radtouren, Wanderungen, gar Autorallyes nicht auf den Spuren Flauberts, sondern der Bovary.
In der Tat hat der Dichter, der vor allem im nahen Rouen und auf dem Land in Le Croisset lebte, einen authentischen Fall in Ry zum Auslöser für seinen Roman genommen. Delphine Delamare, die mit einem Landarzt verheiratet war, aus lauter Langeweile die Ehe brach und sich verschuldete, vergiftete sich 1848 aus Enttäuschung über ihren Mann und ihre Liebhaber. Das Ereignis erregte landesweit Aufsehen, und Flauberts bester Freund Louis Bouilhet meinte zu ihm: „Warum schreibst Du diese


Ry - L´eglise
© OT de Ry-Les 3 Vallées.
Geschichte nicht auf?“ Drei Jahre später begann der mit dem Roman und verfaßte „ein Sittenbild der Provinz“, wie es im Untertitel des Romans heißt.

Fünfzehn Etappen der „Promenade im Land der Emma Bovary“ führen an Orte, an denen Delphine Delamare gelebt hat und an solche, an denen Flaubert seine Emma hat leben und lieben lassen. An jeder Station erklärt uns eine Tafel das Geschehen von einst. Die Rundreise auf den Spuren der beiden Frauen geht durch sattgrünen Auen dreier Flüsse, Crevon, Heronchelle und Andelle, weshalb die Region sich auch „das Land der drei Täler“ nennt. Die schmalen Gewässer winden sich durch die dünnbesiedelte Landschaft, fließen zur Seine, um im Meer der Normandie zu enden. Versteckte Dörfer werden von den Flüssen umschlungen. Sie sind Etappenziele der „Tour de Bovary“ von fünfzig Kilometern durch das flache Land, die wir so auch gemächlich mit dem Fahrrad, das wir im Restaurant „L’Hirondelle“ für den Tag gemietet haben, angehen können. Sie beginnt in Ry, dem Flaubert im Roman den Namen Yonville-l’Abbaye verpasst hat und das wie er schreibt nur eine Straße besitzt, „lang wie ein Gewehrlauf, gesäumt von der Kirche, dem Friedhof, der Apotheke, dem Rathaus und einem Gasthaus". Erinnert man sich an die Romanlektüre und belebt zudem die Phantasie, so finden wir neben dem Rathaus das Haus des Apothekers Homais, die ehemalige Pharmacie Jouanne, die heute eine Geschenke-Boutique beherbergt, sowie das Gasthaus „Zum goldenen Löwen“.


Maison des Bovary - © OT de Ry-Les 3 Vallées.
Das Wohnhaus der Delphine Delamare, in dem sich nun eine Apotheke befindet, liegt ebenfalls in der Grande Rue von Ry. Doch genug der Veränderungen des Gestern zum Heute, hat Ry doch im wesentlichen den Charme einer anderen Zeit behalten. Am Ufer der Crevon, die die kleine Stadt durchfließt, hat ein ehemaliger Glöckner in einer einstigen Obstkelterei die „Galerie Bovary“ eingerichtet. In ihr spielen an manchen Tagen dreihundert Automaten die wichtigsten Szenen des Romans nach.

Bevor wir Ry verlassen, suchen wir noch das Grab der Delamare auf dem Friedhof neben der spitztürmigen Kirche auf, dann folgen wir der sich in die Landschaft hinein windenden Crevon, die in Flauberts Roman Riuelle genannt ist, erreichen Blainville, das im übrigen Geburtsort des Malers Marcel Duchamp ist, und dann Saint German-des Essourts. Hier wundern wir uns über die überbordenden Kressenbeete, die von den unzähligen Gewässern im Dorf profitieren, erfahren auf einem Schild am Straßenrand: hier lebte einst eine gewisse Augustine Ménage, die Dienerin der Delamares, die Flaubert zur Felicité der Bovarys verwandelt hat. Dorf an Dorf reiht sich den Fluß entlang, Flecken an Flecken, wo Ruhe und Beschaulichkeit durch nichts gestört werden. Wir durchqueren Parkanlagen und Wälder wie den Bois Guilbert, gelangen dann nach Heronchelles, das sich dem gleichnamigen Fluß anschmiegt. Es war Heimat des Gastwirts Therain, der als Hivert die Kutsche mit dem Namen „Schwalbe“ lenkte, die Emma Bovary jeden Donnerstag nach Rouen zum Rendez-vous mit ihren Liebhaber Léon brachte.

Vergessen wir für eine Weile die Bovary, genießen einfach die ursprüngliche Landschaft, ruhen auf der leicht abschüssigen Wiese an einem Weiler, wollen nie mehr hier weg, so hat uns die Natur in ihre Arme genommen, raffen uns schließlich doch auf, besichtigen Burgen und Kirchen aus Zeiten, die vor Flaubert und seiner Heroine liegen, um schließlich in Le Héron beim Schloß des Marquis von Pomereu anzukommen. Hier lernte Flaubert in seiner Jugend selbst wie dann auch Emma die Pracht und die Verlockung des mondänen Lebens kennen, als sie dorthin zum Ball eingeladen wird und sie die Begierde nach der großen Welt und ihrem schönen Schein überkommt, die sie immer weiter von ihrem Mann, dem Landarzt Charles Bovary entfernt, bis sie ihren Liebhaber findet.


Crevon derrière
© OT de Ry-Les 3 Vallées.

Wir überqueren das Flüßchen Andelle, kehren auf unserem Rundkurs in Saint Denis-le Thiboult zur Crevon zurück und haben plötzlich oberhalb einer alten Mühle eine weite Sicht das Flußtal entlang, über dem ein niedriger mit federleichten Wolken durchzogener Himmel uns zum Maler machen könnte, doch wir photographieren den Talblick nur. Am Weiler von Villiers liegt das Anwesen „La Huchette“, wohin Flaubert die Bovary zu ihren galanten Treffen mit dem Frauenverführer Rodolphe geschickt hat.
Ein wenig erschöpft von der Fahrrad-Tour kehren wir am frühen Abend nach Ry zurück, haben indes einen geglückten Tag hinter uns, denn die Geschichte der Bovary im Herzen und im Kopf haben wir eine Rundreise durch einen Roman gemacht. Zugleich sind wir durch eine Landschaft gefahren, die in vielem noch das Gesicht des alten Frankreich zeigt und wo die Natur mit ihrem Charme nicht spart. Wir unterhalten uns noch mit dem Apotheker, der so gar keine Ähnlichkeit mit der Romanfigur des aufmüpfigen Homais hat, der der Bovary das Arsen besorgt hatte, mit dem sie sich vergiftete.                               
Im „L’Hirondelle“ genießen wir die original französische Landküche mit einem „normannischen Loch“, einem Calvados auf Eis, zwischen den Gängen, der den Magen erweitert. Da Ry kein Hotel besitzt, suchen wir eins der zahlreichen Chambres d’hôtes und werden von Madame Cousin freundlich aufgenommen.

Am Tag darauf werden wir weiter nach Rouen fahren, dem Schöpfer der „Bovary“ einen Besuch


© OT de Ry-Les 3 Vallées.
abstatten, im Museum und auf dem Friedhof und an die Stätte seines Landlebens nach Croisset fahren. Dort erinnert der Pavillon-Flaubert an das Leben und Werk des Dichters, der gemeint hat: „Die Bovary bin ich“.


© OT de Ry-Les 3 Vallées.








Weitere Informationen unter:
www.ot-ry-troisvallees.com
Maison de la France Frankfurt Tel. 09001/570025
Office de Tourisme in Ry : Tel. 0032/35231990  Fax : 0032/35021855
Email : sitroisvallees@wanadoo.fr


© Jörg Aufenanger - zuerst erschienen in: "Frankfurter Rundschau“ am 3.11.07