Wenn ich König wäre

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Wenn ich König wäre
 
Wenn ich ja König wäre, und hätte Land und Leute, Könige haben ja immer Land und Leute, das wissen wir ja alle von den schönen, alten Märchen, die wir ja als Kinder immer vorgelesen bekamen. Aus pädagogischen Gründen. Das Märchen von Schneewittchen und Rosenkohl, das ist ja die Geschichte von der vergifteten Birne, wo das Mädchen sich im Sarg übergeben muß, weil der eine Schimpanse über die Baumwurzel stolpert. Oder: Frau Holle, Ihr seid die Schönste hier, aber Aschenblödel mit den zwölf Flügeln hinter den 32 Hügeln ist tausendmal blöder als Ihr!
Das waren ja alles diese wunderbaren Dinge, die uns Kindern so viel Spaß gemacht haben. Also, wenn ich König wäre, Könige haben ja auch meist drei Söhne, meist, also ich wüßte, wenn ich mich so in meinem Bekanntenkreis umsehe, keinen, der nicht drei Söhne hätte. Der erste Sohn ist fleißig, der zweite faul und der dritte krank. Dann gibt es da oft noch eine hirnrissige Tochter, die läßt sich jeden Morgen, so gegen elf Uhr, Vier todessüchtige Jungritter vorführen, die müssen alle mit so 'nem ekelhaften Drachen kämpfen, sind um Viertel nach elf schon tot, und die Prinzessin ruft so gegen zwölf jedesrnal: „Blechchchch!“
Also, wenn ich König wäre und hätte Land und Leute, dann würde ich auch jeden Morgen auf den Balkon treten, Landesherren treten ja immer auf Balkone, manche sind schon abgebrochen, weil zuviel draufstanden. Da gibt´s ein Stück von einem meiner Lieblingsautoren, Thomas Bernhard, und das Stück heißt: Elisabeth die Zweite. Also, die Elisabeth, die Queen, fährt unten auf der Straße vorbei, Jubel, Trubel und Spalier, und oben bricht der Balkon ab, weil zu viele draufstanden. Der Vorhang fällt. Das Stück ist zu Ende. Die Leute müssen nach Hause gehen. Das sind die Stücke, sag ich immer, die betroffen machen, die anderen erschüttern ja nur. Also, diese Theaterschlüsse lieb ich besonders. Gewöhnlich ist es doch so: Das Stück hat drei Akte. Die beiden ersten Akte dauern jeweils 45 Minuten, dann kommt die übliche Pause von 20 bis 25 Minuten, und dann geht man nochmal 40 Minuten gemütlich ins Parkett. Pusteblume! Nach zwei Minuten bricht der Balkon ab. Der Vorhang fällt, das Stück ist zu Ende, die Leute müssen nach Hause gehen, wissen gar nicht, warum sie im Theater waren. Manche irren bis zum Morgen durch die Stadt, finden gar nicht mehr nach Hause, das sind die Stücke, wie gesagt, die betroffen machen. Wunderbar.
Also, wenn ich König wäre und hätte Land und Leute, dann würde ich auch jeden Morgen auf den Balkon treten, und wenn Sie dann zufällig da stünden oder vorbeiwandelten, dann würd ich Ihnen jeden Morgen ganz laut zurufen: „Geht nach Hause! Macht, was ihr wollt! Laßt mich in Ruhe!“ Macht, was ihr wollt, das ist mein Lieblingssatz. So heißt ja, glaube ich, auch ein Stück von Shakespeare. Macht, was ihr wollt. So ähnlich jedenfalls, wie wir Niederrheiner sagen, wenn wir was nicht genau wissen. So ungefähr jedenfalls. Und dann hängen wir noch ein „immerhin“ dran. Und wenn uns dann der Satz noch zu kurz vorkommt, sagen wir noch: Naja. So ähnlich jedenfalls, immerhin, naja. Ich hab jetzt übrigens das Alter erreicht, wo ich über Dinge lache, die gar keine Pointe mehr haben. Das ist schön, sag ich Ihnen, das ist schön. Sonst lauert man doch immer, besonders, im Kabarett lauert man doch auf die Pointe. Ich lach jetzt überall. Ich war neulich in einer ganz tollen Kneipe. Eigentlich ganz simpel, aber das Essen war ganz toll. Das hat man ja jetzt öfter. Wir haben auf Apfelsinenkisten gesessen, aber das Essen war einmalig. Die lassen ja auch nicht jeden rein. Das läuft alles nur über Mundpropaganda. Die wollen das gar nicht. Man kommt auch nur mit Klopfzeichen rein. Und der Wirt führt dann immer noch die Ziege live durch die Gaststube. Auf der Ziege kann man dann, mit Lippenstift oder so, einzeichnen, was man für ein Stück haben will. Die Ziege sieht dann später so aus wie die Landkarte von den Vereinigten Staaten. Und da saß ich da an so `nem ganz simplen Tisch. Da war so eine rot-weiß oder blau-weiß karierte Decke drauf, also so rustikal. Und in der Decke waren furchtbar viele Löcher drin, Warum, weiß ich auch nicht, vielleicht waren aber die Löcher auch schon vorher drin, und der Wirt hat dann erst die Decke blau-Weiß oder rot-weiß eingefärbt. Stilstich oder was das sein soll. Ich muß ihn mal fragen. Und auf dem Tisch stand so´n Reklamekärtchen, wie so´n Dach, so einmal geknickt, und da stand einfach nur drauf, ohne Preisangabe: Hühnerbrust Malaysia. Ich fing sofort an zu lachen. Ich wußte gar nicht warum: Hühnerbrust Malaysia. Ein paar Tage später seh ich auf der Straße einen Herrn. Der trug ein T-Shirt, und da stand vorne ganz groß drauf: Malaysia. Und da wußte ich also, da hatte ich also die Pointe wieder mal vorweggenommen. Aber was auf so T-Shirts alles draufsteht, also da gibt´s ja Universitäten, die gibt´s gar nicht. Nur, damit die Leute es lesen. Und was heute so alles geredet wird, und behauptet und bewiesen und erklärt und begründet wird. Wer hat noch 'ne Leiche im Keller undsoweiter. Was war denn bei Ihnen heute, wenn ich fragen darf, irgendwas ist doch immer, bei mir doch auch. Was weiß ich, Geburtstag, Berufsjubiläum, Konfirmation, Tagesrest, Ernst des Lebens undsoweiter, desolat und obsolet, das sind zwei Fremdwörter. Desolat weiß ich schon, aber obsolet, also, das könnte ein Centurio bei Asterix und Obelix sein. Der Obsolet von Cherburia, das ist das heutige Cherbourgh. Die Städte hießen ja früher alle anders. Und ein Obsolet, das ist so eine Art Stadtkommandant, ein Stadtkommandeur. Bei den alten Mongolen, da gab´s ja schon die Obsoleten von Samarkand, zuerst gab´s die Satrapen und dann die Obsoleten. Die trugen so ganz, ganz schlanke, zugespitzte Helme, weiß ich noch. Hat mir Marco Polo erzählt. Nein, also, wenn ich ein Fremdwort nicht weiß, das ist bei uns in der Familie so Sitte, dann wird sofort das Lexikon oder das Fremdwörterbuch aus dem Schrank gezerrt. Da kennen wir nichts, da wird nicht lang gefackelt, und dann sitzt es aber auch lebenslänglich in unseren Hinterköpfen. Sofort auch einem Menschen die Meinung sagen, sag ich immer, nicht fackeln, nichts untern Teppich kehren, das ist ja ungesund, sondern sofort klipp und klar einem ins Gesicht hinein ganz konkret sagen: „Du bist doch einwandfrei ein ganz hundsgemeines, dummes, asoziales Schwein!“ Und dann sofort weggehen, den anderen stehenlassen, sofort weggehen. Kein Gespräch, keine Debatte. Aus. Ende der Fahnen Stange. Schluß! Dann ist alles wieder ok. Dann kann man wieder vor sich selbst gradesitzen. Oder was man an dem Tag so vorhat: Kaffee trinken. Tennis spielen. Frauen anmachen. Man hat dem anderen die Wahrheit gesagt, nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe, und ist selbst bei der Wahrheit geblieben. Und ist selbst bei der Wahrheit geblieben. Geblieben, also mehr kann man doch eigentlich nicht verlangen!
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker