„Euch braucht keiner. Euch will auch keiner.“

Rede in der Aktuelle Stunde zur sog. „Scharia-Polizei“

von Andreas Bialas MdL

Rede des Landtagsabgeordneten Andreas Bialas (Wuppertal, SPD)
Aktuelle Stunde zur sog. „Scharia-Polizei“
12. September 2014
 
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
 
Seit Tagen befinden wir Wuppertaler uns in negativer bundesweiter Berichterstattung. So wichtig es ist, Gefahren zu benennen und zu bekämpfen, so wichtig ist es auch, Relationen zu beachten.
Es ist ein schmaler Grat zwischen der Aufmerksamkeit, die zu erzeugen ist, damit der Blick auf einen Gefahrenzustand gelenkt wird, und einem Hype, der alle Maße sprengt, den Falschen Publicity beschert und den Blick darauf verstellt, was uns Wuppertaler ausmacht und auch wer überhaupt Opfer ist.
Wir leben in Wuppertal den Gedanken der Toleranz, der Akzeptanz und der Gemeinschaft. Dieses werden wir uns durch niemanden nehmen lassen.
In Wuppertal leben Menschen aus über 150 Nationen und zahlreichen Religionen und Religionsrichtungen friedlich zusammen.
In der Gemarker Kirche wurde die Barmer Theologische Erklärung vor 80 Jahren verkündet. Sie klärte, welche Ansprüche Gott hat und welches Recht der Staat gegenüber dem Menschen erheben kann, also: Was ist Gottes, was ist des Staates.
Ein Teil des Geländes in der Gemarke wurde der Jüdischen Gemeinde übertragen, die hierauf, direkt neben der Kirche,  ihre neue Synagoge errichtete, die von zwei Staatspräsidenten, Moshe Katzav und Johannes Rau, 2002 eingeweiht wurde.
Als unsere Synagoge vor einigen Wochen mit Brandsätzen beworfen wurde, war es der Sprecher der Moscheegemeinden Mohamed Abodahab, der einen Tag später auf einer Demonstration vor der Synagoge sagt: „Wer dieses Gotteshaus angreift, greift unser aller Gotteshäuser an, er greift uns alle an. Es gibt keinen Unterschied, egal ob es eine Moschee, eine Synagoge oder eine Kirche ist.“ In Wuppertal planen wir den ersten landesweiten muslimischen Friedhof. Er wird unmittelbar angrenzen an einen christlichen und an einen jüdischen Friedhof.
Zwei bekannte „Kinder“ dieser Stadt haben sich über ihre jahrzehntelange Arbeit für Toleranz und Vielfalt besonders ausgezeichnet, Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth und Johannes Rau. Sie einte der Gedanke, daß wir in Kategorien von Heterogenität und des Gestaltens dieser Vielfalt denken sollten und nicht auf die vermeintlichen Segnungen reiner Homogenität hereinfallen dürfen.
Das ist der Geist, der in Wuppertal herrscht – der Geist der Toleranz –, getragen von den Vertretern der Konfessionen, von der Stadtgesellschaft und allen bürgerlichen Parteien, von allen Repräsentanten der Stadt. Wir stehen untereinander in einem vielfältigen Kontakt und Dialog. Wir begegnen uns als Wuppertaler.
Und wir stehen gerade auch jetzt zusammen und damit an der Seite unserer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nichts mit der Shariah Police zu tun haben, nichts mit dem Ungeist salafistischer Hetzer. Betrachten wir einmal die tatsächlichen Opfer. Opfer sind zunächst einmal unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und nicht zentral unsere Verfassung.
Lassen wir also nicht zu, daß sie in einer doppelten Opferstruktur gefangen werden, indem sie unter den Generalverdacht als nicht integrierte und integrierbare, potentielle oder real extremistische Angehörige einer Parallelgesellschaft gestellt werden und die Diskussion hauptsächlich hierum kreist.
Opfer sind konkret z.B. junge Muslima, die von einer Horde Männer nachts genötigt und geängstigt werden, indem ihnen untersagt werden soll, eine Disco zu besuchen, und die sich derzeit nicht außer Hauses trauen. Opfer sind junge verführbare Männer und ihre Familien, die für scheinbar heilige Kriege rekrutiert und verheizt werden sollen.
Es war auch ein Angriff auf unsere freiheitliche Verfassung.
Wie sieht es nun mit unserer Verfassung aus? Um sie muß man sich immer sorgen, aber wir wissen auch, daß sie stabil ist, daß sie durch unsere von vielen gelebten, und übrigens weltweit von Millionen ersehnten, Werte getragen wird. Daß sie durch unsere Einsichten und historischen Erfahrungen stabilisiert ist.
Was sind nun diese Einsichten?
Es ist die Einsicht, daß die universalen Menschenrechte dem Wunsche der Unterdrückten, dem Wunsche der Unfreien aller Zeiten und aller Orte entsprechen. Unsere Rechte sind nicht die Rechte der Machthaber, es sind die Rechte der zunächst Machtlosen. Das Recht auf Entfaltung der Person braucht die Masse der Beherrschten, nicht die geringe Anzahl der Herrscher.  Es ist die Einsicht, daß Menschen vor der ungezügelten Macht der Herrscher oder der falschen Prediger geschützt werden müssen.
Es ist die Einsicht, daß kein Staat Paradiese schaffen kann und kein Herrscher im Besitz historischer oder religiöser Wahrheiten ist.
Es ist die Einsicht, daß politischer Messianismus oder nationales Führertum nicht in einer vollendeten Gesellschaft oder dem ewigen Leben mündet, sondern in Tyrannei und Tod. Es ist die Einsicht, daß die Entwicklung des Menschen, sein Recht auf freie Entfaltungsmöglichkeit seiner Persönlichkeit, Raum und Grenzen braucht. Raum, in dem er seine Biographie selbstständig schreiben und bestimmen kann, Grenzen, dort wo er beginnt, anderen ihren Raum zu nehmen. Es geht also nicht um ein „jeder mache, egal, was er will“, sondern um ein immer wieder wachsam zu behütendes und behutsam zu behandelndes und immer wieder neu zu justierendes Miteinander.
Und doch sehen wir viel zu häufig: Menschen versuchen anderen Menschen umfangreich vorzuschreiben, wie sie zu sein hätten, wie sie ihr Leben zu führen hätten. Wie sehr verherrlichen Menschen sich dabei selbst. Wie häufig versuchen sich Menschen mit ihren totalitären Forderungen an die Stelle Gottes zu stellen. Diese Hybris ist ein sicheres Anzeichen für Diktatoren. Aber: Die Weltreligionen tragen in sich das Versprechen, daß das Leben der Menschen besser wird. Denn der Mensch ist Gott nicht egal, wohl aber häufig genug der Mensch dem Menschen. Unsere Werte werden wir mit allen Mitteln des Rechtsstaates verteidigen.  
Ich bin daher der Wuppertaler Polizei für ihr engagiertes und schnelles Handeln dankbar. Ich bin dem Innenminister dankbar, schnellstens ein Verbot des Tragens der Westen ausgesprochen zu haben. Ich bin dankbar dafür, daß wir mit Mitteln auch des Landes Beratungsstellen des Projektes „Wegweiser“ einrichten können. Ich bin den Wuppertaler Moscheegemeinden dankbar, die in ihrer Arbeit über die Gefahren des Salafismus aufklären und dafür sorgen, daß sich auch ihre gerade jungen Gemeindemitglieder immun gegenüber den scheinbaren Verlockungen zeigen.
Als Gesetzgeber ist es unsere Pflicht und unser vornehmstes Recht, jedes rechtstaatliche Mittel einzusetzen, um durch das Gesetz unsere Demokratie und unsere Bürger zu schützen. Besonders ist es uns auferlegt, und wir sind in der, weltweit betrachtet, luxuriösen und von vielen beneideten Situation, den Geist der Demokratie zu leben.
Das werden wir in Wuppertal weiterhin tun. Wir werden nach den leidvollen Erfahrungen der letzten Woche nur umso mehr zusammenrücken. Denn eines geben wir den Radikalen, egal welcher Couleurs, nicht: Wir geben ihnen nicht unsere Gemeinschaft, nicht unsere Werte, keinen Nährboden für ihre Ideologien, nicht unsere Angst und auch nicht das Auseinander-Dividieren der Demokraten.
Diesen Gruppen rufen wir gemeinsam zu, egal ob Scharia Police, Rechte Streifen oder was auch immer Radikales daher kommen mag: „Euch braucht keiner. Euch will auch keiner“.