Männer brauchen Grenzen

Der kranke Mann

von Tina Teubner

© Tina Teubner
Der kranke Mann
 
Ehe hier irgendeine Form von Zynismus aufkommt, möchte die Autorin betonen, daß sie dieses Kapitel mit unendlicher Liebe, Hingabe und in nobler Verströmung geschrieben hat. Der kranke Mann verdient dies. Denn er leidet mehr als alles sonst auf der Welt. Schon ein schlichter Schnupfen verschafft ihm eine Nahtod-Erfahrung. Der kranke Mann ist der Sprache nicht mehr mächtig. Sein gebeutelter Körper ist nurmehr in der Lage, Geräusche auszustoßen: Geräusche des Leids. Schon Zweiwortsätze wie „Oh nee!“, „Oh Scheißel“ „Boh ej!“ bringen das Sprachzentrum und damit auch den Mann an den Rand seiner Leistungsfähigkeit. Zumal etwas in ihm ihn zwingt, diese Laute über vierundzwanzig Stunden fortwährend zu wiederholen, um seiner schrecklichen Pein angemessen Ausdruck zu verleihen. Und das über mehrere Tage, manchmal sogar Wochen oder Monate.
Bemerkenswert dabei ist sein Bedürfnis, gleichzeitig liebevoll umsorgt und in Ruhe gelassen zu werden. Das geht, weiß der kranke Mann. Seine Frau weiß zwar nicht wie: Aber es ist wirklich nicht seine Aufgabe, sich darum nun auch noch zu kümmern. Er muß schließlich leiden. Das reicht.
Wehe also, die Frau kommt einfach so rein! Wehe, sie tut es nicht! Wehe, sie klopft. Wie aufgesetzt! Wehe, sie stellt ihm liebevoll das Mittagessen hin. Geht gar nicht! Läuft unter „Streuselkuchenterrorismus“ und ist als abscheulich zu  bezeichnen. Wehe, sie vergißt es. Anfassen? Streicheln? Berühren? Wie unsensibel! Die Haut schmerzt doch. Links liegenlassen? Wie kalt!
Früher war alles besser. Da waren die Sommer noch warm, die Winter waren weiß, und die Frauen waren nicht immer so cool. Die waren fürsorglich. Heute ist das alles anders. Da sind die Männer nicht mehr alleine, da sind sie einsam. Schrecklich einsam. Kein Wunder also, daß sie haltlos ins Bodenlose stürzen.
Denn es gibt ja nicht nur die Krankheiten, sondern auch die Angst vor Krankheiten. Ist der kranke Mann von Hause aus eher wortkarg, stumm und unkreativ, läuft seine Phantasie zur Hochforrn auf, wenn es darum geht, neue Krankheiten an sich zu entdecken: Seltene leid- und todbringende Krankheiten. Mediziner sprechen hier von der „somatoformen Störung“. Im Volksmund „Hypochondrie“ genannt.
Die Tage verbringt der kranke Mann vor dem Computer, um sich in all das einzuarbeiten, was ihn demnächst ereilen wird; man sieht ihn sich abtastend, heftig schluckend (ist da nicht doch ein kleiner Halsschmerz, der ja oft der Anfang vom Allerschlimmsten ist?); man beobachtet ihn mit der Lupe, seine Haut untersuchend, stets in der Gewißheit, bald den erdrückenden Beweis zu finden; man trifft ihn nur noch in abgedunkelten Räumen an, in denen er seinem Kopfschmerz zu entfliehen sucht, der in ihm bohrt und bohrt - und das, obwohl er seit Tagen und Wochen nicht mehr an der frischen Luft war, obwohl er nicht mehr schläft und nichts mehr ißt (außer Zigaretten und Bier).  
 
Was Ihr Mann jetzt am allermeisten braucht:
 
Eine ausgeglichene, gutaussehende, gesunde Ehefrau. Machen Sie eine schöne Reise. Tun Sie sich mit einer netten Freundin zusammen. Nichts ist so schädlich für den kranken Mann, wie ein unausgeschlafenes Etwas, das mit Rändern unter den Augen zwischen Vorwurf und mütteristischer Fürsorge hin- und herschwappt und ihn regelrecht psychisch unter Druck setzt, zeitnah zu gesunden. Madeira beispielsweise ist zu allen Jahreszeiten schön. Auch Korfu eignet sich hervorragend für einen ausgedehnten Urlaub; das hat sogar Kaiserin Sissi gewußt und sich wirklich alle erdenkliche Mühe gegeben, das kärgliche Vermögen ihres Gatten dort in großem Stile zu verplempern. Die Cinque Terre sind landschaftlich atemberaubend schön, aber auch das benachbarte Italien lädt zum Verweilen ein, ebenso wie die Toskana, Rom, Sizilien, Neapel, die Marken, Frankreich, Portugal, auch England hat Reize, wenn auch verregnete, sogar der Osten Europas, sogar der Osten der Welt, aber auch der Nor- den: Schweden, Norwegen, Finnland, ausgenommen Skandinavien und Österreich, bis hin nach Island oder Dormagen, jetzt wird es mir wirklich zu doof, genauere Informationen erhalten Sie bei den zuständigen Touristeninformationen.  
 
 

© Tina Teubner
Weitere Informationen: www.lappan.de
Redaktion: Frank Becker