Vergnügen auf den zweiten Blick

Lessings Minna von Barnhelm in Wuppertal

von Martin Hagemeyer

v.l.: Uwe Dreysel, Thomas Braus - Foto © Christoph Sebastian / Wuppertaler Bühnen

Vergnügen auf den zweiten Blick
 
Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm, oder Das Soldatenglück.
 
Regie: Helene Vogel / Bühnenbild: Philip Rubner / Kostüme: Aleksandra Kica / Dramaturgie: Susanne Abbrederis / Mitarbeit Dramaturgie und Regieassistenz: Mona vom Dahl.
Besetzung: Major von Tellheim: Uwe Dreysel / Minna von Barnhelm: Tinka Fürst / Franziska: Julia Reznik / Just: Thomas Braus / Paul Werner: Stefan Walz / Der Wirt: Miko Greza / Eine Dame in Trauer: Daniel F. Kamen / Riccaut de la Marlinière: Daniel F. Kamen.
 
Schwarze Kleidung, graue Bühne, freie Bahn für den moralschweren Text: Unübersehbar bekennt sich „Minna von Barnhelm“ in Wuppertal zum Ernst von Lessings Stück. Komödie heißt es und Klassiker ist es, aber darum ist es noch lange keine klassische Komödie. Regisseurin Helene Vogel hat gar nicht erst versucht, die Geschichte um die Geliebte eines entlassenen Feldherrn als reinen Spaß zu inszenieren: „Lessings besondere Leistung besteht für mich darin, eine Komödie gerade aus diesem Stoff voller Tiefe zu machen.“
 
Daß Major von Tellheim seine Entlassung so rigoros als Herabstufung versteht und daher vor der Geliebten kurzerhand Reißaus nimmt: Schon für Lessing war derlei Selbstbestrafung wohl etwas viel der Ehre. Übertriebenes militärisches Pflichtgefühl wollte er an Tellheim darstellen, wie es Ewald von Kleist, den Offizier und Freund des Dichters, im Krieg das Leben gekostet hatte. Schauspieler Uwe Dreysel macht nun diesen Mann keineswegs zur direkt komischen Figur, sondern spielt den edlen Charakter voll aus, ganz getreu dem moralischen Duktus seiner Worte: „Vernunft und Notwendigkeit befehlen mir, Fräulein von Barnhelm zu vergessen.“ Knapp vor tragisch.
 
Auch finanziell helfen lassen mag der stellenlose Major sich nicht: „Es ziemt sich nicht, daß ich dein Schuldner bin“, erklärt er dem verdutzten Freund Werner; diesen einstigen Kriegskameraden verkörpert der hochgewachsene Stefan Walz als Macher und schon physisch als geraden Kerl. Daß Tellheim selbst, heute vergleichsweise schmächtig, bei seinen edlen Reden Arbeitshose und offenes Sweatshirt trägt statt Anzug wie andere Figuren: Diese Kostümwahl (Aleksandra Kica) mag hier nicht recht seine Armut unterstreichen, sondern wirkt irritierend. Vielleicht aber kein schlechter Kunstgriff, um mit etwas sanfter Lächerlichkeit wenigstens optisch sein Pathos zu brechen: Denn letztlich ist Tellheim ja vor allem ein sturer Hund, und als heroischen Entsager will ihn gewiß keiner davonkommen lassen – Lessing nicht, die Regie nicht. Und Minna am allerwenigsten.


Tinka Fürst, Uwe Dreysel - Foto © Christoph Sebastian / Wuppertaler Bühnen
 
Die Titelfigur und ihre Jungfer: Sie sind es, durch die diese untypische Komödie trotz allem ein Vergnügen wird. Bei Tinka Fürst als Minna und Julia Reznik als Franziska sind die beiden ein verschworenes Gespann, schon beim amüsanten ersten Auftritt, wo sie zeitgleich zum Sprechen bei der gemeinsamen Morgengymnastik zu sehen sind. Zwei von Kind auf Vertraute, die sich die Bälle zuspielen, bis der störrische Tellheim sich zwischen den eigenen Prinzipien verirrt und zu guter Letzt geradezu bittet, Minna heiraten zu dürfen. „Ich hätte Ihren Brief lesen sollen“, spielt sie Tellheim Ahnungslosigkeit vor, und der Zuschauer hört ihren Spaß am falschen Spiel heraus. Hintergründig agiert aber auch Franziska, erscheint mal als Komplizin, mal witzig als Leibwächterin – aber immer als autonome Frau; nicht zuletzt wird sie sich selbst ja Werner sichern.

Damit sie sich reizvoll in Szene setzen können, hat Bühnenbildner Philip Rubner den beiden wie dem Rest des Ensembles ein die ganze Bühne umschließendes Gerüst konstruiert, das spannend und sehr beweglich bespielt wird. Besonders von Thomas Braus als Tellheims Diener Just, der überhaupt ein wahrer Kämpfer ist heute Abend – wenn auch im Werben um Franziska ja leider erfolglos. Doch: Auch das Gerüst ist grau.
Bunte Gimmicks gibt es zur Auflockerung zwar auch ein paar, etwa einen knallig gefüllten Einkaufswagen. Aber die nötige Komik geben der Inszenierung, sorgsam austariert statt effekthaschend, vor allem das Damen-Duo und sein falsches Spiel aus guten Gründen. Wer also vermutet hätte, das neue Schauspiel der Stadt werde sein Heil in der allzu leichten Muse suchen: Der wurde bei der dritten großen Premiere im Theater am Engelsgarten eines Besseren belehrt.

Die nächsten Termine:
26. 11. (Restkarten), 27. 11. und 28. 11. (ausverkauft) 2014, jeweils 19.30 Uhr,
13.12.2014 um 19.30 Uhr (Restkarten), 14.12.2014 um 18.00 Uhr (Restkarten)
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de