Kunst und Humor (1)

von Joachim Klinger

© Joachim Klinger
Kunst und Humor (1)
 
1954 veröffentlichte der Woldemar Klein Verlag, Baden-Baden als Sonderausgabe der Zeitschrift „DAS KUNSTWERK” mit Band 45 ein 66 Seiten umfassendes Heft unter dem Titel „Kunst und Humor”. Der Einführungsaufsatz von Anton Henze befaßte sich unter der Überschrift „Von Busch bis Klee” mit „Satire und Humor in der Neuen Deutschen Kunst”.
Schade, daß seine Betrachtungen so spät einsetzen! Denn eine humorvolle Sicht der Welt in der Bildenden Kunst läßt sich ganz gewiß schon früher ausmachen. Ich nenne nur Daniel Chodowiecki (1726–1801) und Ludwig Richter (1803–1884) als Beispiele für den deutschen Bereich. Immerhin erwähnt Henze ganz kurz auch die „heiter-komische, humorvoll lächelnde Idylle” im Werk der Maler Karl Spitzweg (1809–1885) und Moritz von Schwind (1804–1871). Aber er steuert mit Riesenschritten auf sein eigentliches Thema zu: die Karikatur.
 
Da bietet Wilhelm Busch wahrhaftig die beste Ausgangsbasis. Mit seinen Bildergeschichten wie „Max und Moritz”, „Fips der Affe”, „Hans Huckebein” gilt er vielen als „Vater” der Comic Strips und Begründer einer neuen Sparte auf dem Gebiet der Grafik. Sein Gesamtwerk wird geprägt durch erzählendes Zeichnen, das sowohl der Belehrung wie der Belustigung zu dienen scheint. Daß Wilhelm Busch im Zeichen einer erstaunlichen Doppelbegabung auch adaequate Verse zu seinen Bildern verfaßte, macht ihn zu einem einmaligen Phänomen in der Kunstgeschichte.
Um den Reichtum des Humors und der Satire in der deutschen Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts zu belegen, verweist Henze darauf, daß später sehr berühmte Künstler wie Paul Klee, Lyonel Feininger und Richard Seewald sich auch in der Karikatur versucht hätten. Selbst Ernst Barlach habe einmal ein Blatt zur großen Bildergalerie der Satire beigesteuert. In den Vorstudien Paul Klees zur „Zwitschermaschine” und in seinen Katzenzeichnungen erkennt Henze die „leichte Heiterkeit echten Humors”. Auch Alfred Kubin sei in manchen Zeichnungen jenem Humor nahe geblieben, „der von der Nachtseite des Lebens bedroht und zugleich genährt wird.” Natürlich holt Henze auch Heinrich Zille ins Boot und schlägt dann noch den Bogen zu George Grosz. Zilles Satire werde „von einem versöhnlichen Humor und der Einsicht in die Unvollkommenheit aller Menschen gemildert”. Sie gehe zu Herzen. Das könne man bei Karl Arnold (in seinem späteren Werk) und bei George Grosz nicht feststellen.
 
Spätestens jetzt ist es an der Zeit, einige Begriffe zu klären, soweit das möglich ist. Am besten geht man dabei zur Veranschaulichung auf Künstler und ihre Arbeiten ein. Da sind z.B. die Zeichner des berühmten „Simplicissimus”; ich nenne von ihnen Eduard Thöny, Bruno Paul, Rudolf Wilke, Karl Arnold, Thomas Theodor Heine und Olaf Gulbransson. Sie alle waren Satiriker, die ihren ätzenden Spott gegen machtvolle Institutionen und Personen richteten, also z.B. gegen das Militär, den Klerus, die Fürsten. Fast alle Zeichner, die sich der Waffe der Satire bedienen, suchen zu

© Joachim Klinger
entlarven, hinter Fassaden zu blicken und entdecken Laster und Gemeinheiten, Schwächen und Mängel.
Das kann man besonders deutlich machen am Werk von zwei großen Meistern der Grafik: Honoré Daumier und A. Paul Weber. Die politische Karikatur bedarf der Satire, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Diese Aufgabe heißt: schonungslose Aufklärung. Die Erfolge der politischen Satire werden von der Öffentlichkeit mit Hohnlachen quittiert oder – es gibt ja auch einen sanfteren Umgang – mit beifälligem Schmunzeln.
Schwieriger als die Definition der Satire ist die Beschreibung der Wesensmerkmale des Humors. Das liegt under anderem auch daran, daß der Begriff „Humor” im allgemeinen Sprachgebrauch „inflationär” verwendet wird (allerdings ist es mit dem Begriff „Kultur” viel schlimmer!). Gerade im Bereich der Karikatur nimmt man unter der Rubrik „Humor” gern alles auf, was lustig erscheint und unseren Mund in die Breite zieht.
 
Der in Frankreich hochgeschätzte Karikaturist Albert Dubout ist beispielsweise ein „lustiger Kerl”; die Anhäufung komischer Typen in altersschwachen Eisenbahnwagons, wie er sie zeichnet, ist schier zum „Kringeln”, aber Humor ist doch etwas anderes, ist mehr. Das wird einem bewußt, wenn man Blätter von Jean Jacques Sempé daneben hält.
Bei ihm erkennt man kein Bemühen um Komik. Seine unangestrengte, lockere Bildsprache stellt den petit bourgeois in seine Umwelt und läßt ihm trotz seiner Unbedeutendheit die menschliche Würde. Da steht der Urlauber aus Paris am Strand der Riviera, allein mit dem Meer und dem Himmel, nimmt grüßend den Hut ab und lächelt! Wir lächeln auch, wir lachen nicht über diesen „nobody”, wir empfinden Sympathie mit ihm.
Ähnlich geht es uns mit dem bemützten Fahrradfahrer, der in aller Seelenruhe seinen Drahtesel durch den brausenden Verkehr steuert. In vielen Bildern und Bildergeschichten erkennen wir bei Sempé die nachsichtige Freundlichkeit, mit der er seine Mitmenschen betrachtet.
Ich hätte zum Vergleich mit Dubout auch Jean Effel und Raymond Peynet heranziehen können – beide gehen mit ihren Gestalten, seien es kleine Engel, der liebe Gott oder Liebespaare, zärtlich-liebevoll um -, aber Sempé scheint mir geradezu ein Musterbeispiel für die Zuwendung des humoristischen Künstlers zu seiner Umwelt zu sein.
 


 © 2014 Joachim Klinger
Lesen Sie morgen hier Teil 2 von Joachim Klingers Essay über Kunst und Humor
Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2015
Redaktion: Frank Becker