Da bin ich ganz bei Ihnen (1)

von Fritz Eckenga

Foto © Frank Becker
Liebe Wirklichkeitsverbraucher,
 
wenn Sie hier bei mir auftauchen, dann haben Sie doch bereits das komplette Konsumenten-Traumatisierungsprogramm erfolgreich absolviert. Gammelfleisch, BER,  Energiewende, NSA, BND, RTL 2, Antibiotika im Chicken-Wing, Ebola, Stromtrasse, Stinkefinger, Vorhautdatenspeicherung, Ehec, Noro, Vogelpest – hab’ ich was vergessen? Okay. NRW kauft immer noch Schweizer Steuer-CDs. Überall lauern Tod und Verderben, und da haben wir die Themen Griechenland, Bayern München, Pegida, Bettwanzen und EZB noch nichtmal gestriffen. Dermaßen erschöpft schwächeln Sie dann hier in der Bestuhlung vor mir rum (und warten drauf, daß ich Ihnen den Kammerjäger mache). „Los – unterhalt’ mich, du Kasper“. Ich schaue zu Ihnen runter und weiß nicht: Ist das noch die Magen- oder ist das schon die Bügelfalte? Ich schaue in ihre traurigen Augen und sehe genau, was Sie wollen. Trost, Hoffnung, Zuversicht und – ein kleines bißchen Sicherheit.
 
Ja sicher. Ich versteh’ das. Da bin ich ganz bei Ihnen. So sagt man ja jetzt, ne? „Da bin ich ganz bei Ihnen“. So simuliert man Nähe und Zuwendung. „Da bin ich ganz bei Ihnen“ - das ist eine dieser gängigen Anschleimformeln, das ist die satzgewordene Handvoll lauwarmer Nutella, die Markus Lanz dem Rollstuhlfahrer auf den Oberschenkel schmiert, bevor er oral in ihn eindringt: „Ich habe die Bilder von Ihrem Motorradunfall gesehen. Das hat mich persönlich tief beeindruckt. Wir können die auch mal zeigen. Wirklich fürchterlich. Sagen Sie mal, ist der Sex seit der Querschnittslähmung eigentlich ein Stückweit schlechter als vorher?“
 
Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich unterstelle, daß niemand von Ihnen so wehrlos ist oder so unter Prominenzverdacht steht, daß er Gefahr läuft, bei Lanz oder lanzverwandten Angrabschern eingeliefert zu werden. Ich hab’ das nur so als ganz allgemeine Warnung in den Raum gerufen. Damit ihre Alarmlampen angehen, wenn irgendein Heckenpenner meint, Sie auf diese Weise von der Seite, aus der Glotze raus oder von der Bühne runter anquatschen zu dürfen. Jawohl! Der Warnhinweis gilt auch für das, was ich hier tue. Sollten Sie heute noch einmal „da bin ich ganz bei Ihnen“ von mir hören, bitte ich um folgende Antwort: „Nix da! Halt’ Abstand, Blödmann! Wer ganz bei mir sein darf, bestimme ich immer noch selbst!“
Damit stellen Sie dann ganz nebenbei auch unter Beweis, daß Sie eine wache Persönlichkeit sind, daß Sie einen eigenen, einen starken Willen haben und das kommt ja nicht zuletzt mir zugute. Ja sicher. Damit adeln Sie mich. Weil Sie mich erwählt haben. Weil Sie für mich Eintritt bezahlen. Weil Sie einen so guten, so einen ganz individuellen Geschmack haben. Und das ist eine schöne Bestätigung meiner Arbeit. Denn ich unterstütze ja seit Jahren mit nicht nachlassender Leidenschaft die verzweifelten Bemühungen des Publikums, mit meinem Sortiment einen individuellen Geschmack zu simulieren. Verstehen Sie?!
 
Das Individuum an sich strebt ja immer danach, sich aus dem anonymen Gemenge herauszuheben. Das fängt schon beim persönlichen Gestank an. Ja, der Mensch riecht ja von Natur aus erstmal ganz stinknormal nur nach sich. Und damit das
keiner merkt, kauft er sich dann für teuer Geld beim Parfümisten eine individuelle Note und meint, jetzt stönke er anders. Stimmt auch. Anders als er selbst nämlich, aber leider genauso wie alle anderen, die sich dasselbe Toilettenwasser hinter die Ohren geschmiert haben.
Und so aromatisiert kommen Sie dann zu mir in diesen für ein kleines bißchen Kleinkunst umbauten Raum und dann komm’ ich – und was mach’ ich?
 
Ich sage: Poach, war das wohl wieder ’n Kacktag? Ha’m Sie das mitgekriegt, was die da in Berlin wieder verzapft haben … poach, also ehrlich, wenn das so weitergeht, dann hab’ ich aber voll die Schnauze voll. Sie auch, ne? Toll. Hamwe ja dieselbe Meinung. Ja? Soll ich mal vorneweg so’n paar Namen sagen? Irgendwas mit Merkel, Schäuble, Varoufakis oder so? Damit Sie sich ’n bißchen empören können? Dann hätten wir das wenigstens schonmal hinter uns.
 
 
© Fritz Eckenga
Auszug aus dem aktuellen Programm
Redaktion: Frank Becker