Achterbahn zwischen den Kulturen…

Ein Portrait der Schriftstellerin Safeta Obhodjas

von Angelika Zöllner

Safeta Obhodjas - Foto © Angelika Zöllner
Achterbahn zwischen den Kulturen…
 
Ein Portrait der Schriftstellerin Safeta Obhodjas
 
von Angelika Zöllner
 
Die bosnische Autorin Safeta Obhodjas gehört zu den Menschen, die es nicht leicht haben, weil sie ihrer Zeit oft um Längen voraus sind. Als junge Ehefrau hatte sie es schwer, sich mit Bücherlesen in der Familie zu behaupten. Daß die junge Frau zu schreiben begann, sich auch durch die Kinder nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ, sorgte für erhebliche Verwirrung im traditionellen Umfeld.
 
Die intensive Begegnung mit Safeta Obhodjas im Kollegenkreis des deutschen Schriftstellerverbandes (VS) führte dazu, ihr eines Tages ein Portrait vorzuschlagen. Die Schriftstellerin wurde 1951 in Pale, nahe Sarajevo in eine muslimische Familie geboren. Sie heiratete, wie die meisten bosnischen Frauen, sehr jung, studierte trotzdem Journalismus, arbeitete im Büro und hatte vor allem zwei Kinder zu erziehen. Ende der Siebziger Jahre publizierte sie ihre ersten Erzählungen und Hörspiele. Sie zählte zu den damals noch seltenen Prosa-Autorinnen. In den Achtziger Jahren war es für eine Frau in Ex-Jugoslawien nicht leicht, eine schriftstellerische Laufbahn aufzubauen. In den Kulturkreisen sah man sie allenfalls als Muse, in jedem Fall als sexuelle Gefährtin. Wollte eine Frau auch nur halbwegs Karriere machen, mußte sie öfter entscheiden, ob sie den Weg über das Bett wählt, verzichtet oder den Kampf gegen das Patriarchat aufnimmt. Es war durchaus gewünscht, daß auch Frauen Geld verdienen. Karriere aber blieb in den Augen der Großfamilie gefährlich und sollte traditionsbewußt den Männern überlassen bleiben. Die männliche Vorherrschaft, sagt Obhodjas, hatten Töchter oft schon deshalb zu respektieren, da ihre Mütter nicht wollten, daß sie es leichter haben als sie.
Schreibende Frauen waren in den Achtzigern, wenn überhaupt, eher als Journalistinnen oder Lyrikerinnen bekannt. Trotz der Anforderungen des Alltags publizierte sie ab 1980 einige Hörspiele (für Radio Sarajewo, Zagreb, Belgrad) und 1987 einen ersten, bereits bemerkenswerten Band mit Erzählungen: ‚Die Frau und das Geheimnis“ (Žena i tajna, Verlag V. Maslesa, Sarajevo).
 
Geholfen haben ihr zunächst meist Männer. Schließlich saßen die in den wesentlichen Posten. Da ist es umso erstaunlicher, daß Safeta Obhodjas von Anfang an die Rolle der ‚modernen Frau‘ in ihrem Land ergriff. Sie schildert in ihren ersten Geschichten ‚die ganze Zerrissenheit zwischen Moderne und Tradition in einer patriarchalischen Gesellschaft‘, wie es auf ihrer Homepage heißt. Sie versucht, Mißstände in der Gesellschaft - Unterdrückung der Frauen, Auseinandersetzungen zwischen den Völkern… - aufzudecken, Informationen, die vom kommunistischen Tito-Regime stets unterdrückt wurden.
Die Schriftstellerin geht davon aus, daß auch heute noch viele Männer Ex-Jugoslawiens ihre Frau schlagen oder zumindest Schläge androhen. Sie sehen sich genötigt, ihre Frau in Gehorsamsgrenzen zu halten, da sie das Gesicht des Patriarchen, der sich durchsetzen soll, zu wahren haben. Frauenfragen wurden durchaus interessanter zu der Zeit, als Obhodjas in den Achtzigern zu publizieren begann. Etwa drei, vier Jahre vor dem Krieg jedoch setzten sich Themen nationalen Heldentums erneut durch. Rechte für Frauen wurden wieder für lange kein Thema. Hinzu kam, daß Frauen im Krieg vorrangig ihre Männer zu unterstützen hatten.
 
1992 verschlug es sie durch die Wirren des bosnischen Krieges sowie auf Grund erheblicher Probleme mit den serbischen Nationalisten mit ihrer Familie nach Wuppertal. Die Autorin lernte in Deutschland bald die Landessprache, heute schreibt sie zweisprachig. Genossen hat sie, daß sich ihr hier eine Bücherwelt eröffnete, die in Bosnien nicht zugänglich oder nicht übersetzt war.
 
1996 erschien im deutschen Melina Verlag die Übersetzung von Safeta Obhodjas frühen Prosageschichten (erweiterte Auflage) unter dem variierten Namen: Das Geheimnis – die Frau. Wir erfahren Geschichten bosnischer Frauen, die von komplikationsreichen Beziehungen in der Liebe oder am Arbeitsplatz berichten. Liebe, Gewalt und auch das Scheitern sind immer wieder Kernthemen. Keine Frau, auch wenn sie verzweifelt, scheint in den Erzählungen schwach. Im Gegenteil, das Durchhalten und/oder das Wagen neuer Wege im Dickicht der Verstrickungen will Safeta Obhodjas anhand verschiedener Frauenschicksale den traditionsbefangenen Frauen vorführen, um ihnen für eine freie Entscheidung Mut zu machen. „Unsere Frauen sind Weltmeisterinnen im Warten. Sie warten auf ihre Männer und Söhne, die gerne ihre Nächte in einer Schenke durchzechen aber auch oft im Gefängnis sitzen“, sagt die Autorin. In der Geschichte „Die Frau und das Geheimnis“ wartet eine Frau auf ihren Mann, den sie verraten hat. Er muß ins Gefängnis, hat er doch damals ihren Freund ermordet. Sie besucht ihn, er aber empfängt sie nicht. Wieder wartet sie, daß sie alles erklären kann, ‚gefesselt an diese Schwelle‘.
‚Wieder hat mich Osman nicht empfangen wollen! Wie üblich, bin ich zu seinem Haus zurückgegangen… ich kann mich einfach nicht losreißen von den starken Bindungen, die mich dort festhalten. Jedes Mal, wenn ich aus dem Gefängnis kam, in dem er seine Sünde abbüßt, habe ich es versucht. Vergebens. Als ob ich an seine Schwelle gefesselt wäre…
Die letzte Geschichte der Sammlung, ‚Der Abgrund‘ - entstanden 1990 - weist schon auf die bevorstehende Katastrophe in Bosnien hin.
 
In Deutschland
 
Von 1997 bis 2000 erhielt Safeta Obhodjas drei renommierte deutsche Arbeitsstipendien vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Stuttgarter Schriftstellerhaus und dem Künstlerdorf Schöppingen, Sie wird zunehmend bekannter, auch durch Theater- und Hörstücke (u.a. Ketten reißen nie von selbst, ein fiktiver Dialog mit Helene Stöcker, Wuppertaler Frauenrechtlerin und Pazifistin).
Ein großes Aufgabengebiet für Obhodjas wird in Deutschland bald die Jugendarbeit. Sie initiiert Inszenierungen mit Schulklassen, die die Integration in Deutschland thematisieren (u.a. die Wahrheit hat kurze Beine, ein Theaterprojekt mit der Schauspielerin Caroline Keufen, neuerdings auch Zusammenarbeit mit Soraya Sala), finanziell unterstützt durch die Jackstädt-Stiftung Wuppertal und vom Landesprojekt ‚Kunst und Schule‘.
 
Seit ihrem Beginn in Deutschland, also ab 1992, sind sieben Bücher von Safeta Obhodjas auf Deutsch erschienen - u.a. Scheherazade im Winterland, Frauen aus der Karawane Sinais und zuletzt der Jugendroman Mert, ein Deutschtürke im Abseits. Das bisher erfolgreichste Buch Obhodjas erschien 2013 bereits in dritter Auflage. Legenden und Staub, eine gemeinsame Arbeit von ihr und dem assyrischen Christen Sargon Boulus aus dem Irak (1944-2007), wurde erneut verlegt, da es in Zeiten der Unruhe und Kämpfe in den arabischen Ländern aktueller denn je wird – vor allem aber in der Notwendigkeit, sich innerhalb der Kulturen mit Verständnis und Freundschaft zu begegnen. Der Iraker Autor Sargon Boulus und die bosnische Autorin Safeta Obhodjas sind Grenzgänger und wagen ‚die Wege des Herzens‘. Sie entdecken bei ihrer Begegnung in Schöppingen (Arbeitsstipendium), daß sie sich nicht nur englisch, sondern auch ‚mit einem bescheidenen Vokabular arabischer, türkischer und persischer Herkunft‘ unterhalten können. Die slawische Sprache hat noch so manches Wort mit denen des Nahen Ostens gemeinsam. Sie unterhalten sich über Wochen, sie, die muslimische, noch nicht lang getrennt lebende Ehefrau und er, der heimatlos gebliebene Reisende, der von Kultur zu Kultur zog, eines Tages sogar das gelobte Land Amerika samt seiner Privatbibliothek wieder verließ, um mit einem One-Way-Ticket nach Europa zu fliegen. Boulus hatte die Wandlung der Stimmung gegen Muslime nach dem 11. September 2001 nicht ertragen können, schon gar nicht den Krieg gegen den Irak. Er hatte in den USA die bedeutendsten Werke der literarischen und philosophischen Welt von Orient und Okzident zusammengetragen und versuchte nun, mit neuer Schwerelosigkeit, einen Neuanfang.
Das Werk der beiden fasziniert Leser aller Generationen und Angehörige unterschiedlicher Religionen/Kulturen, sogar Atheisten. Die ‚Philosophie einer neuen Welt‘ könnte es fast heißen, denn in vorbildhafter Weise erobern sich beide Autoren ein gemeinsames Terrain, wie wir alle es angesichts der Gegenwartsprobleme zwischen vielen neuen Migranten und ihren Kulturen erwerben müssen.
 
Ein gewisses Problem hat Safeta Obhodjas bis heute mit ihren vorausschauenden Texten bei Verlagen. Man wünscht zur Zeit Berichte über muslimische Frauen, die unterdrückt werden. Dazu gehört die Entstehung des Jugendromans Mert, ein Deutsch-Türke im Abseits. Hier will sie hervorheben, wie auch junge Männer leiden, weil sie sich nicht in Freiheit eine Partnerin, eine Zukunft wählen dürfen. Bei der Vorarbeit zum Roman macht Safeta Obhodjas die Erfahrung, daß auch in Deutschland hinsichtlich der Gleichberechtigung mitunter noch sehr rückläufig gedacht wird. In Duisburg liest sie Eintrittskarten zu einem deutsch-türkischen Fußballspiel. Da heißt es, der Eintritt betrage für ‚Frauen, Kinder und Behinderte‘ 6 Euro. Für ‚Erwachsene‘ gilt ein höherer Preis. Wann endlich gilt eine Frau als ‚erwachsen‘?
 
Mittlerweile genießt Safeta Obhodjas als Autorin wachsendes Ansehen. In den USA kaufte die Yale-Universität mit hohem Lob mehrere Bücher von ihr. In jüngster Zeit erhielt sie finanzielle Unterstützung für zwei Groß-Projekte. Das über zwei Jahre dauernde Thema ‚Lange Schatten unserer Mütter‘, erarbeitet mit der Fotografin Petra Göbel (unterstützt vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugendliche, Kultur und Sport des Landes NRW) hat im Jahr 2014 in Essen, im Forum für Kunst und Architektur im Rahmen einer ersten Ausstellung bereits begonnen. Die Autorin hat sich in ihren Werken oft mit dem Mutter-Tochter-Verhältnis in den zugewanderten oder kulturell gemischten Familien auseinandergesetzt. Aus dem individuellen Interesse der beiden Künstlerinnen bezüglich dieser Problematik entstand die Idee zu dem gemeinsamen Projekt. Die Texte der Autorin basieren auf Interviews mit mehreren jungen, gebildeten Frauen und deren Müttern, die täglich viele Grenzen zwischen den Kulturen überwinden müssen. Texte und Fotos werden in Ausstellungen, in welchen sich ein Stück künstlerisch überarbeiteter Realität unserer Gesellschaft widerspiegelt, gemeinsam gezeigt.
 
Gleichzeitig entstand ein Theaterstück. Ausgangspunkt sind dokumentierte Geschichten von Frauen, die hier in unterschiedlichen Kulturen leben und sich auch mit erheblicher Unterstützung ihrer Mütter gegen ‚lange Schatten‘, die Tradition durchgesetzt haben und Bildung erwerben dürfen. Von diesem Zwiespalt berichtet eine albanische Sozialpädagogin:‚Die Ausbildung…hat meine Mutter unterstützt, ohne zu gewahren, daß die Bücher mir eine…Welt eröffneten, in der auch Mädchen Freiheit genießen…Ich lebte wie in einem…Gefängnis, in dem meine Mutter die Rolle der Wächterin übernommen hatte‘.
Für 2015 ist ein weiteres Theaterprojekt geplant, angeregt von der Gedok Wuppertal und unterstützt durch die Jackstädt-Stiftung. Es geht um eine Hommage an die Exil-Autorinnen Marina Zwetajewa, Irmgard Keun und eine unbekannte Autorin. Safeta Obhodjas sagt zu ihrem Projekt:
‘Um ihr Leben zu retten, floh Irmgard Keun vor den deutschen Nationalsozialisten ins Exil, Marina Zwetajewa verließ ihre Heimat wegen des roten Terrors in Russland und die unbekannte Autorin suchte in Deutschland eine Rettung vor den Nationalisten auf dem Balkan. Durch die Schicksale dieser drei Exilautorinnen versuche ich die damalige und die heutige Zeit zu vergleichen. Viele Menschen bleiben stets auf der Flucht‘.
 
Vom 7. – 28. Mai 2015 wird im Eingangsbereich der Bibliothek der Bergischen Universität Wuppertal, BZ 07 die nächste Ausstellung an der Wuppertaler Universität präsentiert. Titel: Lange Schatten unserer Mütter . Literatur – Safeta Obhodjas; Fotografie – Petra Göbel.
Eröffnung: 18.00 Uhr
 
 
Redaktion: Frank Becker